8 „Die Schweiz den Schweizern“
Flugblätter hetzen, Zeitungen berichten und der Chef der Fremdenpolizei macht sich so seine Gedanken
1938 bis 1942
29. August 1938, St. Gallen
In St. Gallen werden antisemitische Flugblätter der „Nationalen Front“ verteilt. Darin wird vor der „Überschwemmung der Ostschweiz mit jüdischen Emigranten“ gewarnt.
„In den vergangenen Tagen sind Hunderte und aber Hunderte von Juden aus Österreich über unsere Grenze gedrungen, wobei der größte Teil von ihnen in St. Gallen Quartier bezogen hat. Sogar die Zeitungen des Systems fanden diesen Zustrom ‚ungemütlich’. ... Sie wissen nicht, dass wir nur dann uns von den jüdischen Einflüssen und Machenschaften schützen können, wenn wir im Juden eine fremde, von uns total verschiedene Rasse erkennen, die dank ihrer Erziehung durch den Talmud mit ganz andern ‚moralischen’ Massstäben ausgerüstet ist, als wir christlichen Schweizer. ... Die Schweiz den Schweizern!“[1]
10. Dezember 1938, Kreuzlingen
In der Thurgauer Zeitung beklagt Bezirks-Statthalter Otto Raggenbaß die Einreise illegaler jüdischer Flüchtlinge von Konstanz nach Kreuzlingen.
„Es war teilweise ganz interessant festzustellen, dass die aus Wien, Chemnitz, Berlin, und wie die Städte alle heißen mögen, stammenden Flüchtlinge den Saubach und das Döbele besser kannten als viele Grenzanwohner. ... Es ist oft schwer, angesichts der bestehenden Tatsachen Leute auszuweisen und über die Grenze zu stellen; doch ist es heilige Pflicht der Behörden, Land und Volk vor den ernsten Gefahren der Überfremdung und der antisemitischen Bewegung zu schützen.“
Bezirks-Statthalter Raggenbaß geht im Folgenden auf die sogenannte „Ausländerfrage“ ein und beklagt, dass die Parole „Die Schweizerarbeit den Schweizern!“ nicht mit Leben erfüllt werden. Viele der angebotenen Arbeiten würden von Schweizerbürgern nicht angenommen werden, weil sie zu schwer seien.
„Wir müssen soweit kommen, dass jeder Betrieb stolz darauf ist, nur schweizerische Arbeitskräfte zu beschäftigen.“[2]
30. Januar 1939, Zürich
Die Neue Zürcher Zeitung widmet sich der Schweizer „Fremdenpolitik“ unter der Überschrift „Die Bekämpfung der Überfremdung“:
„Der neueste Erlaß der eidgenössischen Fremdenpolizei, wonach die Schweiz für sämtliche Emigranten nur noch Transitland sein kann, hat weitesten Kreisen unseres Volkes zum Bewusstsein gebracht, daß die verantwortlichen Stellen im eidg. Justiz- und Polizeidepartement mit aller wünschenswerten Energie gegen eine weitere Überfremdung der Schweiz, wie sie durch ausländische Massenemigration zahlreicher europäischer Länder unser Land bedroht, sich zur Wehr setzen. […] Die Bekämpfung der Überfremdung erfordert aber nicht nur eine zielbewusste Einbürgerungspolitik sondern […] eine strenge fremdenpolizeiliche Praxis, sowohl gegenüber den Emigranten wie gegenüber arbeitsuchenden Ausländern. […]“[3]
Oktober/November 1942
Am 12. Oktober 1942 reist der Chef der Flüchtlingspolizei im Eidgenössischen Justiz- und Polizei Departement Heinrich Rothmund nach Deutschland. Unter anderem besucht er dort auch das Konzentrationslager Sachsenhausen. Nach seiner Rückkehr im November berichtet er dem Bundesrat. Er spricht von „tüchtigen Zulagen, gutem Brot und schmackhaften Wurstwaren“, die die Schwerarbeiter unter den Häftlingen erhalten würden und erzählt von einem Treffen mit deutschen Beamten und der SS im Lager.
„Beim Mittagessen ergab sich aus dem zwanglosen Gespräch Gelegenheit, die Judenfrage durchzunehmen. Ich versuchte den Herren klarzumachen, dass Volk und Behörden in der Schweiz die Gefahr der Verjudung von jeher deutlich erkannt und sich stets so dagegen gewehrt haben, dass die Nachteile der jüdischen Bevölkerung durch die Vorteile wettgemacht wurden, während das in Deutschland nicht der Fall war. […] Die jüdische Rasse ist geschichtlich erprobt, zäh und stark gegenüber Verfolgungen. Sie hat bisher allen Ausrottungsversuchen standgehalten und ist immer wieder gestärkt daraus hervorgegangen. Aus diesen Überlegungen scheine mir, so schloss ich meine Ausführungen, die deutsche Methode falsch zu sein und gefährlich für uns alle, weil sie uns letztendlich die Juden auf den Hals jage.“[4]
[1] Thomas Metzger, Antisemitismus in der Stadt St. Gallen 1918-1939. Fribourg 2006, S. 356.
[2] Thurgauer Zeitung, 10.12.1938.
[3] Neue Zürcher Zeitung, 30.1.1939.
[4] Diplomatische Dokumente der Schweiz 1848-1945, Bern 1997, Vol. 14 (1941-1943), S. 862.
8 „Die Schweiz den Schweizern“
Flugblätter hetzen, Zeitungen berichten und der Chef der Fremdenpolizei macht sich so seine Gedanken
1938 bis 1942
29. August 1938, St. Gallen
In St. Gallen werden antisemitische Flugblätter der „Nationalen Front“ verteilt. Darin wird vor der „Überschwemmung der Ostschweiz mit jüdischen Emigranten“ gewarnt.
„In den vergangenen Tagen sind Hunderte und aber Hunderte von Juden aus Österreich über unsere Grenze gedrungen, wobei der größte Teil von ihnen in St. Gallen Quartier bezogen hat. Sogar die Zeitungen des Systems fanden diesen Zustrom ‚ungemütlich’. ... Sie wissen nicht, dass wir nur dann uns von den jüdischen Einflüssen und Machenschaften schützen können, wenn wir im Juden eine fremde, von uns total verschiedene Rasse erkennen, die dank ihrer Erziehung durch den Talmud mit ganz andern ‚moralischen’ Massstäben ausgerüstet ist, als wir christlichen Schweizer. ... Die Schweiz den Schweizern!“[1]
10. Dezember 1938, Kreuzlingen
In der Thurgauer Zeitung beklagt Bezirks-Statthalter Otto Raggenbaß die Einreise illegaler jüdischer Flüchtlinge von Konstanz nach Kreuzlingen.
„Es war teilweise ganz interessant festzustellen, dass die aus Wien, Chemnitz, Berlin, und wie die Städte alle heißen mögen, stammenden Flüchtlinge den Saubach und das Döbele besser kannten als viele Grenzanwohner. ... Es ist oft schwer, angesichts der bestehenden Tatsachen Leute auszuweisen und über die Grenze zu stellen; doch ist es heilige Pflicht der Behörden, Land und Volk vor den ernsten Gefahren der Überfremdung und der antisemitischen Bewegung zu schützen.“
Bezirks-Statthalter Raggenbaß geht im Folgenden auf die sogenannte „Ausländerfrage“ ein und beklagt, dass die Parole „Die Schweizerarbeit den Schweizern!“ nicht mit Leben erfüllt werden. Viele der angebotenen Arbeiten würden von Schweizerbürgern nicht angenommen werden, weil sie zu schwer seien.
„Wir müssen soweit kommen, dass jeder Betrieb stolz darauf ist, nur schweizerische Arbeitskräfte zu beschäftigen.“[2]
30. Januar 1939, Zürich
Die Neue Zürcher Zeitung widmet sich der Schweizer „Fremdenpolitik“ unter der Überschrift „Die Bekämpfung der Überfremdung“:
„Der neueste Erlaß der eidgenössischen Fremdenpolizei, wonach die Schweiz für sämtliche Emigranten nur noch Transitland sein kann, hat weitesten Kreisen unseres Volkes zum Bewusstsein gebracht, daß die verantwortlichen Stellen im eidg. Justiz- und Polizeidepartement mit aller wünschenswerten Energie gegen eine weitere Überfremdung der Schweiz, wie sie durch ausländische Massenemigration zahlreicher europäischer Länder unser Land bedroht, sich zur Wehr setzen. […] Die Bekämpfung der Überfremdung erfordert aber nicht nur eine zielbewusste Einbürgerungspolitik sondern […] eine strenge fremdenpolizeiliche Praxis, sowohl gegenüber den Emigranten wie gegenüber arbeitsuchenden Ausländern. […]“[3]
Oktober/November 1942
Am 12. Oktober 1942 reist der Chef der Flüchtlingspolizei im Eidgenössischen Justiz- und Polizei Departement Heinrich Rothmund nach Deutschland. Unter anderem besucht er dort auch das Konzentrationslager Sachsenhausen. Nach seiner Rückkehr im November berichtet er dem Bundesrat. Er spricht von „tüchtigen Zulagen, gutem Brot und schmackhaften Wurstwaren“, die die Schwerarbeiter unter den Häftlingen erhalten würden und erzählt von einem Treffen mit deutschen Beamten und der SS im Lager.
„Beim Mittagessen ergab sich aus dem zwanglosen Gespräch Gelegenheit, die Judenfrage durchzunehmen. Ich versuchte den Herren klarzumachen, dass Volk und Behörden in der Schweiz die Gefahr der Verjudung von jeher deutlich erkannt und sich stets so dagegen gewehrt haben, dass die Nachteile der jüdischen Bevölkerung durch die Vorteile wettgemacht wurden, während das in Deutschland nicht der Fall war. […] Die jüdische Rasse ist geschichtlich erprobt, zäh und stark gegenüber Verfolgungen. Sie hat bisher allen Ausrottungsversuchen standgehalten und ist immer wieder gestärkt daraus hervorgegangen. Aus diesen Überlegungen scheine mir, so schloss ich meine Ausführungen, die deutsche Methode falsch zu sein und gefährlich für uns alle, weil sie uns letztendlich die Juden auf den Hals jage.“[4]
[1] Thomas Metzger, Antisemitismus in der Stadt St. Gallen 1918-1939. Fribourg 2006, S. 356.
[2] Thurgauer Zeitung, 10.12.1938.
[3] Neue Zürcher Zeitung, 30.1.1939.
[4] Diplomatische Dokumente der Schweiz 1848-1945, Bern 1997, Vol. 14 (1941-1943), S. 862.