51 Jura Soyfer und Hugo Ebner
Eine Sardinenbüchse und die falsche Zeitung. Jura Soyfer und Hugo Ebner kommen statt über das Schlappiner Joch ins Konzentrationslager
Gargellen, 13. März 1938
„Der Jura ist mit der Februaramnestie entlassen worden, und hat, wie ich ursprünglich glaubte, keinen Pass gehabt. Richtig war, er hatte einen Pass, aber der Pass war abgelaufen.“[1]
Der Jurist Hugo Ebner erzählt von seinem gemeinsamen Fluchtversuch mit dem Schriftsteller Jura Soyfer am 13. März 1938.
„Als wir am 11. oder 12. zusammenkamen, um die Situation zu besprechen, und wir gefunden haben, es ist gut, dass wir verschwinden, war das Problem, dass er keinen gültigen Pass hatte. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, wir versuchen es über die Berge. Wir waren halbwegs gute Skifahrer. Ich war das Jahr vorher im Montafon, in Gargellen, Skifahren, und ich kannte ein bisschen die Gegend. Außerdem erschien es mir ganz günstig, wenn wir gefragt werden, was wir da machen, dass man darauf hinweisen kann, ich war ja schon voriges Jahr da, wo politisch noch nichts los war.“[2]
Ebner und Soyfer sind Kommunisten, und beide sind Juden. Soyfer, selbst Sohn einer jüdischen Flüchtlingsfamilie aus Russland, war als Autor antifaschistischer Satiren und Kabarettszenen schon 1937 im austrofaschistischen Österreich inhaftiert worden. Unter deutschem Druck erfolgt im Februar 1938 eine Amnestie politischer Häftlinge in Österreich, eigentlich auf illegale Nationalsozialisten bezogen. Doch paradoxerweise kommen auch einigen Kommunisten frei, darunter auch Jura Soyfer. In den Tagen nach dem Anschluss an Nazideutschland ist Flucht das Gebot der Stunde. Ungehindert gelingt es den beiden mit ihrer Skiausrüstung mit der Bahn bis Schruns zu gelangen. Zu Fuß gehen sie hinauf nach Gargellen. Doch auf dem Weg zum Schlappiner Joch scheitert ihr Plan.
„Hinter Gargellen wurden wir von einer Gendarmeriepatrouille kontrolliert, die aus einem Gendarmen bestand, dem die ganze Sache nicht sehr angenehm war, einem zweiten, an den ich mich nicht mehr erinnere, und einem dritten, der offenbar ein Nazi war und der auf unserer Verhaftung bestand, … Als Vorwand nahm er Folgendes: Es war in meinem Rucksack eine Sardinenbüchse, die in einem, wahrscheinlich unnötigerweise, Stück Zeitungspapier eingewickelt war. Diese Zeitung war eine durchaus legale Gewerkschaftszeitung aus dem Jahr 1936, also eine vaterländische. Aber er hat das zum Vorwand genommen, hat das als illegale Zeitung betrachtet und darauf bestanden, dass wir verhaftet werden und mitkommen. Er war offenbar der Jüngste, der tonangebend war.“[3]
Eine Nacht verbringen die Gefangenen in St. Gallenkirch, dann werden sie in Bludenz inhaftiert und von der Gestapo verhört. Noch im Frühjahr werden sie nach Innsbruck verlegt, wo sie unter anderem dem früheren Vorarlberger Landeshauptmann und kurzzeitigen Bundeskanzler Otto Ender auf dem Gefängnishof begegnen, und schließlich im Juni 1938 ins KZ Dachau. Dort schreibt Jura Soyfer das legendär gewordene „Dachau-Lied“. Von Dachau werden sie im September ins KZ Buchenwald deportiert. Bei der Arbeit im Leichenträger-Kommando infiziert sich Soyfer mit Typhus. In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 1939 stirbt er in Buchenwald, schon im Besitz von Auswanderungspapieren in die USA. Hugo Ebner hingegen wird in Buchenwald gefoltert. An den Folgen des berüchtigten „Baumhängens“ wird er sein Leben lang leiden. Im Mai 1939 wird er freigelassen und kehrt nach Wien zurück.
Auch Hugo Ebners Freundin Rosl Kraus erinnert sich an den März 1938. Auch sie verfolgen diese Tage ein Leben lang.
„Und dann die Erinnerung, die ich leider nicht vergessen kann: die Radioansprache des Bundeskanzlers, Abschied von Österreich als selbständiger Staat und dann die Nacht auf unserem gewohnten Matratzenlager am Boden meines Untermietzimmers, die entsetzliche Angst um Hugo, […] und sein Entschluss, dass er mit Jura über die Berge in die Schweiz gehen will und ich soll mitkommen, alle mit Skiern und ich hab die ganze Nacht geheult und so ging es es ja vielen tausenden in dieser Nacht und dann zeitlich früh plötzlich beim Abschied – ich sollte ihnen beiden ja nachkommen, sie in Vorarlberg treffen – hat er irgendwas gesagt, was mich so empört hat, ich weiß nicht mehr genau was, aber in der Art, ‚wenn ein Mädel dabei ist, sind sie eher geschützt, ist es eher wie ein Skiausflug‘ und meine plötzlich unselige Wut: nicht zu meinem Schutz sollte ich mitkommen, sondern als Schutzschild sozusagen, die Gefahr des Erwischtwerdens auf mich nehmen und unser kurzer Streit noch in der Wohnungstür und weg war er…. Das bohrt und nagt noch heute in mir, vielleicht hätte ich ihnen doch alles, was dann auf sie zukam, ersparen können, wenn ich nicht so schrecklich selbstsüchtig gewesen wäre.“[4]
Doch Rosl Kraus hatte allen Grund gehabt mit Ebner zu streiten. Als Jüdin war sie genauso gefährdet. Nach der Verhaftung ihrer Freunde erkannte sie, dass auch sie fliehen musste. Ihrem in Paris lebenden Bruder gelang es einen französischen Bekannten zu finden, der bereit war, mit ihr eine Scheinehe einzugehen, um ihr eine französische Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Als Rosl Jurkiewicz konnte sie 1939 nach Paris emigrieren, und noch im gleichen Frühjahr mit Hilfe eines Cousins weiter nach London. Dort sah sie Hugo Ebner wieder. Ihm war es im Sommer 1939 ebenfalls gelungen, nach London zu fliehen.
In Großbritannien wartete auf ihn freilich ein Lager für „Ausreisewillige“ und nach dem Beginn des Krieges die Internierung als „feindlicher Ausländer“ in einem Arbeitslager in Kanada.
Noch einmal mussten sie zwei Jahre warten, bis sie ein gemeinsames Leben beginnen durften. Nach dem Krieg kehrten sie nach Wien zurück und konnten schließlich heiraten. Rosl Ebner wurde Ärztin und Hugo Ebner Rechtsanwalt – und nicht zuletzt für sein Engagement für die Pensionen von jüdischen Verfolgten und Vertriebenen bekannt.
[1] Claudia Kuretsidis-Haider, Österreichische Pensionen für jüdische Vertriebene. Die Rechtsanwaltskanzlei Ebner: Akteure-Netzwerke-Akten. Wien 2017, S. 241.
[2] Ebd.
51 Jura Soyfer und Hugo Ebner
Eine Sardinenbüchse und die falsche Zeitung. Jura Soyfer und Hugo Ebner kommen statt über das Schlappiner Joch ins Konzentrationslager
Gargellen, 13. März 1938
„Der Jura ist mit der Februaramnestie entlassen worden, und hat, wie ich ursprünglich glaubte, keinen Pass gehabt. Richtig war, er hatte einen Pass, aber der Pass war abgelaufen.“[1]
Der Jurist Hugo Ebner erzählt von seinem gemeinsamen Fluchtversuch mit dem Schriftsteller Jura Soyfer am 13. März 1938.
„Als wir am 11. oder 12. zusammenkamen, um die Situation zu besprechen, und wir gefunden haben, es ist gut, dass wir verschwinden, war das Problem, dass er keinen gültigen Pass hatte. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, wir versuchen es über die Berge. Wir waren halbwegs gute Skifahrer. Ich war das Jahr vorher im Montafon, in Gargellen, Skifahren, und ich kannte ein bisschen die Gegend. Außerdem erschien es mir ganz günstig, wenn wir gefragt werden, was wir da machen, dass man darauf hinweisen kann, ich war ja schon voriges Jahr da, wo politisch noch nichts los war.“[2]
Ebner und Soyfer sind Kommunisten, und beide sind Juden. Soyfer, selbst Sohn einer jüdischen Flüchtlingsfamilie aus Russland, war als Autor antifaschistischer Satiren und Kabarettszenen schon 1937 im austrofaschistischen Österreich inhaftiert worden. Unter deutschem Druck erfolgt im Februar 1938 eine Amnestie politischer Häftlinge in Österreich, eigentlich auf illegale Nationalsozialisten bezogen. Doch paradoxerweise kommen auch einigen Kommunisten frei, darunter auch Jura Soyfer. In den Tagen nach dem Anschluss an Nazideutschland ist Flucht das Gebot der Stunde. Ungehindert gelingt es den beiden mit ihrer Skiausrüstung mit der Bahn bis Schruns zu gelangen. Zu Fuß gehen sie hinauf nach Gargellen. Doch auf dem Weg zum Schlappiner Joch scheitert ihr Plan.
„Hinter Gargellen wurden wir von einer Gendarmeriepatrouille kontrolliert, die aus einem Gendarmen bestand, dem die ganze Sache nicht sehr angenehm war, einem zweiten, an den ich mich nicht mehr erinnere, und einem dritten, der offenbar ein Nazi war und der auf unserer Verhaftung bestand, … Als Vorwand nahm er Folgendes: Es war in meinem Rucksack eine Sardinenbüchse, die in einem, wahrscheinlich unnötigerweise, Stück Zeitungspapier eingewickelt war. Diese Zeitung war eine durchaus legale Gewerkschaftszeitung aus dem Jahr 1936, also eine vaterländische. Aber er hat das zum Vorwand genommen, hat das als illegale Zeitung betrachtet und darauf bestanden, dass wir verhaftet werden und mitkommen. Er war offenbar der Jüngste, der tonangebend war.“[3]
Eine Nacht verbringen die Gefangenen in St. Gallenkirch, dann werden sie in Bludenz inhaftiert und von der Gestapo verhört. Noch im Frühjahr werden sie nach Innsbruck verlegt, wo sie unter anderem dem früheren Vorarlberger Landeshauptmann und kurzzeitigen Bundeskanzler Otto Ender auf dem Gefängnishof begegnen, und schließlich im Juni 1938 ins KZ Dachau. Dort schreibt Jura Soyfer das legendär gewordene „Dachau-Lied“. Von Dachau werden sie im September ins KZ Buchenwald deportiert. Bei der Arbeit im Leichenträger-Kommando infiziert sich Soyfer mit Typhus. In der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 1939 stirbt er in Buchenwald, schon im Besitz von Auswanderungspapieren in die USA. Hugo Ebner hingegen wird in Buchenwald gefoltert. An den Folgen des berüchtigten „Baumhängens“ wird er sein Leben lang leiden. Im Mai 1939 wird er freigelassen und kehrt nach Wien zurück.
Auch Hugo Ebners Freundin Rosl Kraus erinnert sich an den März 1938. Auch sie verfolgen diese Tage ein Leben lang.
„Und dann die Erinnerung, die ich leider nicht vergessen kann: die Radioansprache des Bundeskanzlers, Abschied von Österreich als selbständiger Staat und dann die Nacht auf unserem gewohnten Matratzenlager am Boden meines Untermietzimmers, die entsetzliche Angst um Hugo, […] und sein Entschluss, dass er mit Jura über die Berge in die Schweiz gehen will und ich soll mitkommen, alle mit Skiern und ich hab die ganze Nacht geheult und so ging es es ja vielen tausenden in dieser Nacht und dann zeitlich früh plötzlich beim Abschied – ich sollte ihnen beiden ja nachkommen, sie in Vorarlberg treffen – hat er irgendwas gesagt, was mich so empört hat, ich weiß nicht mehr genau was, aber in der Art, ‚wenn ein Mädel dabei ist, sind sie eher geschützt, ist es eher wie ein Skiausflug‘ und meine plötzlich unselige Wut: nicht zu meinem Schutz sollte ich mitkommen, sondern als Schutzschild sozusagen, die Gefahr des Erwischtwerdens auf mich nehmen und unser kurzer Streit noch in der Wohnungstür und weg war er…. Das bohrt und nagt noch heute in mir, vielleicht hätte ich ihnen doch alles, was dann auf sie zukam, ersparen können, wenn ich nicht so schrecklich selbstsüchtig gewesen wäre.“[4]
Doch Rosl Kraus hatte allen Grund gehabt mit Ebner zu streiten. Als Jüdin war sie genauso gefährdet. Nach der Verhaftung ihrer Freunde erkannte sie, dass auch sie fliehen musste. Ihrem in Paris lebenden Bruder gelang es einen französischen Bekannten zu finden, der bereit war, mit ihr eine Scheinehe einzugehen, um ihr eine französische Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Als Rosl Jurkiewicz konnte sie 1939 nach Paris emigrieren, und noch im gleichen Frühjahr mit Hilfe eines Cousins weiter nach London. Dort sah sie Hugo Ebner wieder. Ihm war es im Sommer 1939 ebenfalls gelungen, nach London zu fliehen.
In Großbritannien wartete auf ihn freilich ein Lager für „Ausreisewillige“ und nach dem Beginn des Krieges die Internierung als „feindlicher Ausländer“ in einem Arbeitslager in Kanada.
Noch einmal mussten sie zwei Jahre warten, bis sie ein gemeinsames Leben beginnen durften. Nach dem Krieg kehrten sie nach Wien zurück und konnten schließlich heiraten. Rosl Ebner wurde Ärztin und Hugo Ebner Rechtsanwalt – und nicht zuletzt für sein Engagement für die Pensionen von jüdischen Verfolgten und Vertriebenen bekannt.
[1] Claudia Kuretsidis-Haider, Österreichische Pensionen für jüdische Vertriebene. Die Rechtsanwaltskanzlei Ebner: Akteure-Netzwerke-Akten. Wien 2017, S. 241.
[2] Ebd.