46 Elisabeth Frank
Ein Sommer im Montafon: Elisabeth Franks Weg von Krefeld in die Schweiz
Bludenz-Schruns-Bregenz-Höchst, 28. März 1943
Am 10. Mai 1942 steht Elisabeth Amalia Frank am Bahnhof in Bludenz und schaut sich um. Wo wird sie unterkommen. Kurz nach Ostern, Mitte April 1942, hatte sie in Krefeld eine Vorladung zur Gestapo erhalten. Am 6. März, war ihre Mutter gestorben. Nun ging es um ihr eigenes Leben.
Ein Jahr später, im März 1943, wird sie der Polizei in St. Gallen ihre Geschichte schildern, auch ihren Besuch bei der Gestapo.
„Dort wurde mir eröffnet, dass ich mich glaublich auf den 21. April 1942 bereit zu machen hätte, um nach Polen evakuiert zu werden. Dort wurde mir auch ein Formular zur Unterschrift unterbreitet, auf welchem ich sämtliche Vermögens- und Sachwerte aufzuführen hatte, ferner musste ich den Passus unterschreiben, dass ich zum Schutze von Volk und Staat sämtliche Vermögenswerte freiwillig an das Reich abtreten würde. Es wurde mir lediglich erlaubt, einen Koffer mit etwas Wäsche und Kleidern zu packen und 10 Mark Reisegeld mitzunehmen.“[1]
Elisabeth Frank denkt an den Transport nach Lodz, ins Ghetto Litzmannstadt. Dorthin wurden im Oktober 1941 die ersten Krefelder Juden deportiert.
„Wir haben aber von diesen Leuten nie mehr etwas gehört. Ich war deshalb keinesfalls gewillt mich deportieren zu lassen.“
Elisabeth Frank ist nun 52 Jahre alt. Geboren wurde sie in Palermo, wo ihr Vater ein Import-Export-Geschäft betrieb. Als sie sieben Jahre alt war, zog die Familie nach Magdeburg und übernahm die Mehlhandlung des Großvaters. Elisabeth besucht die Höhere Töchterschule, dann ein Jahr lang ein Internat in Neuchâtel in der Schweiz. 1914 heiratet sie Arthur Frank und 1917 kommt die Tochter Ursula zur Welt. Vier Jahre später lassen sie ihr Kind taufen. Sie wollen sich anpassen.
Von 1936 an leben die Eheleute getrennt. Elisabeth zieht zu ihrer Mutter nach Krefeld. Arthur Frank und die Tochter emigrieren in die Niederlande. Doch sie tauschen weiter herzliche Briefe miteinander aus. Auch nachdem 1939 die Scheidung vollzogen wird.
Einen Tag vor ihrer Deportation gelingt es Elisabeth Frank, die Behörden zu täuschen. Mit der Hilfe des Zahnarztes – und sozialdemokratischen Widerständlers – Heinrich Kipphardt täuscht sie den Behörden ihren Selbstmord vor und flieht zunächst nach Berlin zu Bekannten, dann von dort aus weiter nach Vorarlberg.
In Bludenz kommt sie zunächst bei Bauern in Bings und in Brunnenfeld unter. Später wird sie die Namen Bürkle und Mangeng angeben. Dann lebt sie bei einem Bauern namens Juen in Schruns, im Ortsteil Brif. Sie gibt sich als Ausgebombte namens Frieda Schmitt aus Düsseldorf aus. Noch hat sie etwas Geld dabei, mit der sie den Bauern einen Pensionspreis zahlen kann, dann macht sie sich als Erntehelferin nützlich und erkundet die Gegend nach Möglichkeiten zur Flucht. Den Übergang über Gargellen wagt sie nicht. Zu viele Grenzschützer sind dort inzwischen im Einsatz.
Mit Kipphardt ist sie noch immer in Kontakt. Und der sucht inzwischen auch einen rettenden Weg für ihre Cousine, Emilie Haas. Mitte März 1943 treffen sie zu dritt in Bregenz zusammen. Eine Familie Schwärzler nimmt die beiden Frauen einige Tage auf, dann machen sie sich mit einem Schlepper am Abend des 28. März von Höchst aus über den Alten Rhein auf den Weg in die Schweiz.
Am nächsten Morgen werden sie in St. Gallen verhört, und dann noch zweimal, denn sie verheddern sich in Widersprüchen, um ihre Helfer nicht preiszugeben. Dann lassen es die Beamten gut sein. Anfang Mai wird Elisabeth Frank ins Flüchtlingslager Oberhelfenschwil eingeliefert. Am 25. Mai entscheidet die Fremdenpolizei:
„Die deutsche Staatsangehörige Elisabeth Amalie Frank, geb. 4. November 1889, hat vor einiger Zeit als Flüchtling illegal die Schweizer Grenze überschritten. Die Ausschaffung ist zurzeit nicht tunlich. […] Der Obgenannte Flüchtling wird bis auf weiteres interniert.
Die Internierung erfolgt auf eigene Kosten, soweit Mittel vorhanden sind.“
Elisabeth Frank versucht eine Stelle als Haushaltshilfe zu finden, um in Privatunterbringung wechseln zu dürfen. Mehrfach zerschlagen sich ihre Hoffnungen. Inzwischen leidet sie an nervösen Störungen. Doch dann nimmt eine Frau in Kradolf im Kanton Thurgau sie auf. Elisabeths Schwester Helene, die sich nach Palästina hatte retten können, schickt Geld aus Haifa. 1944 kann Elisabeth nach Neuchâtel ziehen, wo sie ein Jahr ihrer Jugend verbracht hatte. Sie findet Arbeit, aber noch immer versucht die Fremdenpolizei sie los zu werden. 1949 fragt die Schweizer Botschaft in Israel an, ob sie nicht bei ihrer Schwester aufgenommen werden könnte. Doch im gleichen Jahr gewährt ihr der Kanton das ersehnte Dauerasyl. 1955 stirbt sie in Neuchâtel. Ihre Tochter Ursula und ihren früheren Ehemann hat sie nicht wiedergesehen.
Im Jüdischen Museum in Amsterdam liegen die letzten Briefe ihrer Tochter Ursula Frank. Am 23. April 1942 schreibt sie aus Amsterdam an den Vater in Enschede:
„Ich erhielt Freitag einen Brief von Mucke, in dem sie mitteilte, dass sie am 21. April von Krefeld fortmüsste. […] Nun ja, so traurig es ist, weiss man doch nicht, wofür es gut ist.“
Am 7. Juli schreibt sie Verwandten und Freunden:
„Lisel hat Euch sicher bereits per Telephon gesagt, dass ich aufgerufen bin, nun nach Deutschland zum Arbeitsdienst zu gehen. […] Am 15. Juli sollen wir hier fort, aber bis dahin ist’s noch soviel Zeit. Mir geht’s gut, bitte macht Euch keinerlei Sorgen, wenn irgend möglich, bleibe ich immer mit Lisel zusammen. Also bitte bringt’s Thepi bei!“
Thepi, Ihr Vater, versucht unterdessen alles, um ihre Deportation aufzuhalten. Er fordert aus Magdeburg Unterlagen an, die ihre Taufe und Konfirmation beweisen, glaubt, dass dies für die Nazis noch einen Unterschied macht.
Am 14. Juli schickt sie ihre letzte Nachricht an den Vater.
„Fast alles ist gepackt. Ich wünsche nur, ich sässe bereits im Zuge. Mir geht’s gut. […] So und nun noch alles Liebe und Gute und recht herzliche Grüße Eure Ucki“
Am 15. Juli 1942 wird Ursula Frank vom Lager Westerbork bei Amsterdam nach Auschwitz deportiert. Als Datum ihres Todes im Lager ist der 18. August 1942 verzeichnet. Ihr Vater folgt ihr am 3. September 1944. Drei Tage später stirbt er in den Gaskammern von Birkenau.
[1] Polizeiinspektorat St. Gallen, Verhörprotokoll Elisabeth Frank, 29. März 1943, Schweizerisches Bundesarchiv, Dossier Elisabeth Frank.
46 Elisabeth Frank
Ein Sommer im Montafon: Elisabeth Franks Weg von Krefeld in die Schweiz
Bludenz-Schruns-Bregenz-Höchst, 28. März 1943
Am 10. Mai 1942 steht Elisabeth Amalia Frank am Bahnhof in Bludenz und schaut sich um. Wo wird sie unterkommen. Kurz nach Ostern, Mitte April 1942, hatte sie in Krefeld eine Vorladung zur Gestapo erhalten. Am 6. März, war ihre Mutter gestorben. Nun ging es um ihr eigenes Leben.
Ein Jahr später, im März 1943, wird sie der Polizei in St. Gallen ihre Geschichte schildern, auch ihren Besuch bei der Gestapo.
„Dort wurde mir eröffnet, dass ich mich glaublich auf den 21. April 1942 bereit zu machen hätte, um nach Polen evakuiert zu werden. Dort wurde mir auch ein Formular zur Unterschrift unterbreitet, auf welchem ich sämtliche Vermögens- und Sachwerte aufzuführen hatte, ferner musste ich den Passus unterschreiben, dass ich zum Schutze von Volk und Staat sämtliche Vermögenswerte freiwillig an das Reich abtreten würde. Es wurde mir lediglich erlaubt, einen Koffer mit etwas Wäsche und Kleidern zu packen und 10 Mark Reisegeld mitzunehmen.“[1]
Elisabeth Frank denkt an den Transport nach Lodz, ins Ghetto Litzmannstadt. Dorthin wurden im Oktober 1941 die ersten Krefelder Juden deportiert.
„Wir haben aber von diesen Leuten nie mehr etwas gehört. Ich war deshalb keinesfalls gewillt mich deportieren zu lassen.“
Elisabeth Frank ist nun 52 Jahre alt. Geboren wurde sie in Palermo, wo ihr Vater ein Import-Export-Geschäft betrieb. Als sie sieben Jahre alt war, zog die Familie nach Magdeburg und übernahm die Mehlhandlung des Großvaters. Elisabeth besucht die Höhere Töchterschule, dann ein Jahr lang ein Internat in Neuchâtel in der Schweiz. 1914 heiratet sie Arthur Frank und 1917 kommt die Tochter Ursula zur Welt. Vier Jahre später lassen sie ihr Kind taufen. Sie wollen sich anpassen.
Von 1936 an leben die Eheleute getrennt. Elisabeth zieht zu ihrer Mutter nach Krefeld. Arthur Frank und die Tochter emigrieren in die Niederlande. Doch sie tauschen weiter herzliche Briefe miteinander aus. Auch nachdem 1939 die Scheidung vollzogen wird.
Einen Tag vor ihrer Deportation gelingt es Elisabeth Frank, die Behörden zu täuschen. Mit der Hilfe des Zahnarztes – und sozialdemokratischen Widerständlers – Heinrich Kipphardt täuscht sie den Behörden ihren Selbstmord vor und flieht zunächst nach Berlin zu Bekannten, dann von dort aus weiter nach Vorarlberg.
In Bludenz kommt sie zunächst bei Bauern in Bings und in Brunnenfeld unter. Später wird sie die Namen Bürkle und Mangeng angeben. Dann lebt sie bei einem Bauern namens Juen in Schruns, im Ortsteil Brif. Sie gibt sich als Ausgebombte namens Frieda Schmitt aus Düsseldorf aus. Noch hat sie etwas Geld dabei, mit der sie den Bauern einen Pensionspreis zahlen kann, dann macht sie sich als Erntehelferin nützlich und erkundet die Gegend nach Möglichkeiten zur Flucht. Den Übergang über Gargellen wagt sie nicht. Zu viele Grenzschützer sind dort inzwischen im Einsatz.
Mit Kipphardt ist sie noch immer in Kontakt. Und der sucht inzwischen auch einen rettenden Weg für ihre Cousine, Emilie Haas. Mitte März 1943 treffen sie zu dritt in Bregenz zusammen. Eine Familie Schwärzler nimmt die beiden Frauen einige Tage auf, dann machen sie sich mit einem Schlepper am Abend des 28. März von Höchst aus über den Alten Rhein auf den Weg in die Schweiz.
Am nächsten Morgen werden sie in St. Gallen verhört, und dann noch zweimal, denn sie verheddern sich in Widersprüchen, um ihre Helfer nicht preiszugeben. Dann lassen es die Beamten gut sein. Anfang Mai wird Elisabeth Frank ins Flüchtlingslager Oberhelfenschwil eingeliefert. Am 25. Mai entscheidet die Fremdenpolizei:
„Die deutsche Staatsangehörige Elisabeth Amalie Frank, geb. 4. November 1889, hat vor einiger Zeit als Flüchtling illegal die Schweizer Grenze überschritten. Die Ausschaffung ist zurzeit nicht tunlich. […] Der Obgenannte Flüchtling wird bis auf weiteres interniert.
Die Internierung erfolgt auf eigene Kosten, soweit Mittel vorhanden sind.“
Elisabeth Frank versucht eine Stelle als Haushaltshilfe zu finden, um in Privatunterbringung wechseln zu dürfen. Mehrfach zerschlagen sich ihre Hoffnungen. Inzwischen leidet sie an nervösen Störungen. Doch dann nimmt eine Frau in Kradolf im Kanton Thurgau sie auf. Elisabeths Schwester Helene, die sich nach Palästina hatte retten können, schickt Geld aus Haifa. 1944 kann Elisabeth nach Neuchâtel ziehen, wo sie ein Jahr ihrer Jugend verbracht hatte. Sie findet Arbeit, aber noch immer versucht die Fremdenpolizei sie los zu werden. 1949 fragt die Schweizer Botschaft in Israel an, ob sie nicht bei ihrer Schwester aufgenommen werden könnte. Doch im gleichen Jahr gewährt ihr der Kanton das ersehnte Dauerasyl. 1955 stirbt sie in Neuchâtel. Ihre Tochter Ursula und ihren früheren Ehemann hat sie nicht wiedergesehen.
Im Jüdischen Museum in Amsterdam liegen die letzten Briefe ihrer Tochter Ursula Frank. Am 23. April 1942 schreibt sie aus Amsterdam an den Vater in Enschede:
„Ich erhielt Freitag einen Brief von Mucke, in dem sie mitteilte, dass sie am 21. April von Krefeld fortmüsste. […] Nun ja, so traurig es ist, weiss man doch nicht, wofür es gut ist.“
Am 7. Juli schreibt sie Verwandten und Freunden:
„Lisel hat Euch sicher bereits per Telephon gesagt, dass ich aufgerufen bin, nun nach Deutschland zum Arbeitsdienst zu gehen. […] Am 15. Juli sollen wir hier fort, aber bis dahin ist’s noch soviel Zeit. Mir geht’s gut, bitte macht Euch keinerlei Sorgen, wenn irgend möglich, bleibe ich immer mit Lisel zusammen. Also bitte bringt’s Thepi bei!“
Thepi, Ihr Vater, versucht unterdessen alles, um ihre Deportation aufzuhalten. Er fordert aus Magdeburg Unterlagen an, die ihre Taufe und Konfirmation beweisen, glaubt, dass dies für die Nazis noch einen Unterschied macht.
Am 14. Juli schickt sie ihre letzte Nachricht an den Vater.
„Fast alles ist gepackt. Ich wünsche nur, ich sässe bereits im Zuge. Mir geht’s gut. […] So und nun noch alles Liebe und Gute und recht herzliche Grüße Eure Ucki“
Am 15. Juli 1942 wird Ursula Frank vom Lager Westerbork bei Amsterdam nach Auschwitz deportiert. Als Datum ihres Todes im Lager ist der 18. August 1942 verzeichnet. Ihr Vater folgt ihr am 3. September 1944. Drei Tage später stirbt er in den Gaskammern von Birkenau.
[1] Polizeiinspektorat St. Gallen, Verhörprotokoll Elisabeth Frank, 29. März 1943, Schweizerisches Bundesarchiv, Dossier Elisabeth Frank.