45 Józef Wiśnicki
Als „Katholik“ überlebt: Józef Wiśnickis Fluchten
Bludenz – Bangs, Sommer 1944
Unter falscher Identität hat Józef Wiśnicki es geschafft, als polnischer Fremdarbeiter in Vorarlberg unterzutauchen. In der Gärtnerei Schaub in Bludenz hat er Arbeit gefunden. Man glaubt, Wiśnicki sei ein katholischer Offizier der polnischen Armee. Ein junger Kollege, Elmar Schallert, vermittelt Wiśnicki Kontakt zum ehemals christlich-sozialen Politiker Karl Zerlauth. Der sucht einen Vertrauensmann unter den polnischen Fremdarbeitern.
Schon dreimal hat Wiśnicki sein Leben durch eine dramatische Flucht gerettet. 1944 versucht er es ein viertes Mal. Später erinnert sich an diese Zeit der Ungewissheit.
„Das Hotel, in dem ich wohnte, hatte ein Restaurant. An Sonntagen, dem geschäftigsten Tag der Woche, kam die Schwester des Hotelbesitzers herein und half, die Gäste zu bedienen. Ich bekam von ihr ein so genanntes ‚Stammgericht‘, ein Gericht nur mit Kartoffeln, für das man keine Lebensmittelmarken brauchte. Den Rest der Woche wohnte sie mit ihrer Mutter auf deren Bauernhof, der im Dorf Bangs in der Nähe von Feldkirch lag und an den Rhein angrenzte, in dessen Mitte die Grenze zwischen Deutschland und Liechtenstein verlief.“
Wiśnicki kennt sich mit der hiesigen Geografie nicht wirklich aus. Aber er glaubt, der Fluss bietet ihm eine Chance, in die Freiheit zu gelangen.
„Hier hoffte ich, eine Chance zu haben... In einem Gespräch mit ihr bot ich an, in meinem Urlaub nach Bangs zu kommen, um bei der Arbeit auf dem Bauernhof zu helfen. […] Ich fuhr über Feldkirch nach Bangs, verbrachte dort eine Woche und half auf dem Bauernhof aus. Vom Rande des Hofes und vom Rhein aus konnte ich das Ufer von Liechtenstein in einer Entfernung von etwa 1000 Fuß sehen“ so glaubt er immer noch „und nachts hörte ich stündlich ihre Kirchenglocken läuten. Gleich hinter diesem Fluss, dachte ich, sind die Menschen frei, und hier lebe ich in ständiger Angst um mein Leben.“
Doch Wiśnicki wird enttäuscht.
„Ein Grenzsoldat auf der hiesigen Seite, ein Freund der Familie, bei der ich zu Besuch war, sagte mir bei einem Tischgespräch, dass er sich keine Sorgen machen müsse, wenn er einen Flüchtling verpassen würde. Jeder, der die Überquerung des Flusses versucht und geschafft hätte, würde von der Liechtensteiner Grenzpolizei zurückgeschickt. Mehr brauchte ich natürlich nicht zu hören... Das zerbrach meinen Traum und ich kehrte nach Bludenz zurück.“[1]
Geboren und aufgewachsen ist Józef Wiśnicki in Czenstochau. Den 1. September 1939 hat er tatsächlich als polnischer Soldat erlebt. Und wie zehntausende anderer polnischer Juden ist er nach Osten geflohen, nach Lemberg, wo sowjetische Truppen einrücken, so wie es Hitler und Stalin miteinander vereinbart haben. Keine zwei Jahre später, im Juni 1941, überfällt Nazi-Deutschland auch die Sowjetunion. Wiśnicki kehrt nach Czenstochau zurück, zu seinen Eltern ins Ghetto, in das die Deutschen Czenstochaus Juden inzwischen getrieben haben.
Im September 1942 finden auch in Czenstochau die ersten Selektionen statt. Wiśnicki glaubt, als junger Mann würde er zur Arbeit geschickt. Doch der Transport geht ins Vernichtungslager Treblinka. Unterwegs beobachtet er, wie sich zwei Mitgefangene durch die Oberlichter des Viehwaggons zwängen – und folgt ihnen. Die Flucht gelingt. Er findet sich in einem Vorort von Warschau wieder – und kehrt nach Czenstochau zurück.
Mit Hilfe eines nichtjüdischen Helfers plant er bald darauf seine dritte Flucht. Falsche Papiere, machen ihn 6 Jahre älter und römisch-katholisch. Seinen Namen behält er. Bis nach Bludenz gelingt es ihm sich durchzuschlagen. Dort wo ihn niemand erkennen und verraten kann.
Aus seiner Flucht in die Schweiz ist nichts geworden. Doch bald darauf, im August 1944 fällt auf ihn der Verdacht, Jude zu sein. Wieder versucht er zu fliehen, doch diesmal wird er mit gezogener Waffe verhaftet. Und es gelingt ihm noch einmal, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er sei aus medizinischen Gründen beschnitten, erklärt er der Polizei. Im Polizeigefängnis lernt er zur Sicherheit das Vaterunser auswendig. Drei Wochen lang wird er in Innsbruck in Gestapohaft festgehalten und vernommen. Schließlich glaubt man ihm seine Geschichte und entlässt ihn zurück nach Bludenz.
Doch im Januar 1945 wird er erneut verhaftet, ohne zu wissen warum. Bis April arbeitet er im Bregenzer Gefängnis als Essensausträger, dann wird er – der Krieg ist schon fast vorbei – ins Arbeitserziehungslager Reichenau nach Innsbruck überstellt.
Wiśnicki überlebt auch dort die letzten Tage der NS-Herrschaft. Noch einmal kehrt er nach Bludenz zurück, wird jetzt tatsächlich für die befreiten polnischen Zwangs- und Fremdarbeiter verantwortlich und tritt der „Österreichischen demokratischen Widerstandsbewegung“ bei. Noch immer weiß niemand, dass er Jude ist.
Doch im Herbst 1945 erfährt er, dass sich jüdische Überlebende in Innsbruck sammeln und dort betreut werden. Im „jüdischen Büro“ in Innsbruck lernt er Leokadia Justmann kennen.
Am 15. September 1946 heiraten die beiden. Es ist die erste jüdische Hochzeit in Innsbruck nach dem Holocaust.
[1] Joseph Wisnicki, My Fight for Survival. New York 1997, S. 15f. Die Geschichte von Józef Wiśnicki wurde von Niko Hofinger recherchiert.
45 Józef Wiśnicki
Als „Katholik“ überlebt: Józef Wiśnickis Fluchten
Bludenz – Bangs, Sommer 1944
Unter falscher Identität hat Józef Wiśnicki es geschafft, als polnischer Fremdarbeiter in Vorarlberg unterzutauchen. In der Gärtnerei Schaub in Bludenz hat er Arbeit gefunden. Man glaubt, Wiśnicki sei ein katholischer Offizier der polnischen Armee. Ein junger Kollege, Elmar Schallert, vermittelt Wiśnicki Kontakt zum ehemals christlich-sozialen Politiker Karl Zerlauth. Der sucht einen Vertrauensmann unter den polnischen Fremdarbeitern.
Schon dreimal hat Wiśnicki sein Leben durch eine dramatische Flucht gerettet. 1944 versucht er es ein viertes Mal. Später erinnert sich an diese Zeit der Ungewissheit.
„Das Hotel, in dem ich wohnte, hatte ein Restaurant. An Sonntagen, dem geschäftigsten Tag der Woche, kam die Schwester des Hotelbesitzers herein und half, die Gäste zu bedienen. Ich bekam von ihr ein so genanntes ‚Stammgericht‘, ein Gericht nur mit Kartoffeln, für das man keine Lebensmittelmarken brauchte. Den Rest der Woche wohnte sie mit ihrer Mutter auf deren Bauernhof, der im Dorf Bangs in der Nähe von Feldkirch lag und an den Rhein angrenzte, in dessen Mitte die Grenze zwischen Deutschland und Liechtenstein verlief.“
Wiśnicki kennt sich mit der hiesigen Geografie nicht wirklich aus. Aber er glaubt, der Fluss bietet ihm eine Chance, in die Freiheit zu gelangen.
„Hier hoffte ich, eine Chance zu haben... In einem Gespräch mit ihr bot ich an, in meinem Urlaub nach Bangs zu kommen, um bei der Arbeit auf dem Bauernhof zu helfen. […] Ich fuhr über Feldkirch nach Bangs, verbrachte dort eine Woche und half auf dem Bauernhof aus. Vom Rande des Hofes und vom Rhein aus konnte ich das Ufer von Liechtenstein in einer Entfernung von etwa 1000 Fuß sehen“ so glaubt er immer noch „und nachts hörte ich stündlich ihre Kirchenglocken läuten. Gleich hinter diesem Fluss, dachte ich, sind die Menschen frei, und hier lebe ich in ständiger Angst um mein Leben.“
Doch Wiśnicki wird enttäuscht.
„Ein Grenzsoldat auf der hiesigen Seite, ein Freund der Familie, bei der ich zu Besuch war, sagte mir bei einem Tischgespräch, dass er sich keine Sorgen machen müsse, wenn er einen Flüchtling verpassen würde. Jeder, der die Überquerung des Flusses versucht und geschafft hätte, würde von der Liechtensteiner Grenzpolizei zurückgeschickt. Mehr brauchte ich natürlich nicht zu hören... Das zerbrach meinen Traum und ich kehrte nach Bludenz zurück.“[1]
Geboren und aufgewachsen ist Józef Wiśnicki in Czenstochau. Den 1. September 1939 hat er tatsächlich als polnischer Soldat erlebt. Und wie zehntausende anderer polnischer Juden ist er nach Osten geflohen, nach Lemberg, wo sowjetische Truppen einrücken, so wie es Hitler und Stalin miteinander vereinbart haben. Keine zwei Jahre später, im Juni 1941, überfällt Nazi-Deutschland auch die Sowjetunion. Wiśnicki kehrt nach Czenstochau zurück, zu seinen Eltern ins Ghetto, in das die Deutschen Czenstochaus Juden inzwischen getrieben haben.
Im September 1942 finden auch in Czenstochau die ersten Selektionen statt. Wiśnicki glaubt, als junger Mann würde er zur Arbeit geschickt. Doch der Transport geht ins Vernichtungslager Treblinka. Unterwegs beobachtet er, wie sich zwei Mitgefangene durch die Oberlichter des Viehwaggons zwängen – und folgt ihnen. Die Flucht gelingt. Er findet sich in einem Vorort von Warschau wieder – und kehrt nach Czenstochau zurück.
Mit Hilfe eines nichtjüdischen Helfers plant er bald darauf seine dritte Flucht. Falsche Papiere, machen ihn 6 Jahre älter und römisch-katholisch. Seinen Namen behält er. Bis nach Bludenz gelingt es ihm sich durchzuschlagen. Dort wo ihn niemand erkennen und verraten kann.
Aus seiner Flucht in die Schweiz ist nichts geworden. Doch bald darauf, im August 1944 fällt auf ihn der Verdacht, Jude zu sein. Wieder versucht er zu fliehen, doch diesmal wird er mit gezogener Waffe verhaftet. Und es gelingt ihm noch einmal, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er sei aus medizinischen Gründen beschnitten, erklärt er der Polizei. Im Polizeigefängnis lernt er zur Sicherheit das Vaterunser auswendig. Drei Wochen lang wird er in Innsbruck in Gestapohaft festgehalten und vernommen. Schließlich glaubt man ihm seine Geschichte und entlässt ihn zurück nach Bludenz.
Doch im Januar 1945 wird er erneut verhaftet, ohne zu wissen warum. Bis April arbeitet er im Bregenzer Gefängnis als Essensausträger, dann wird er – der Krieg ist schon fast vorbei – ins Arbeitserziehungslager Reichenau nach Innsbruck überstellt.
Wiśnicki überlebt auch dort die letzten Tage der NS-Herrschaft. Noch einmal kehrt er nach Bludenz zurück, wird jetzt tatsächlich für die befreiten polnischen Zwangs- und Fremdarbeiter verantwortlich und tritt der „Österreichischen demokratischen Widerstandsbewegung“ bei. Noch immer weiß niemand, dass er Jude ist.
Doch im Herbst 1945 erfährt er, dass sich jüdische Überlebende in Innsbruck sammeln und dort betreut werden. Im „jüdischen Büro“ in Innsbruck lernt er Leokadia Justmann kennen.
Am 15. September 1946 heiraten die beiden. Es ist die erste jüdische Hochzeit in Innsbruck nach dem Holocaust.
[1] Joseph Wisnicki, My Fight for Survival. New York 1997, S. 15f. Die Geschichte von Józef Wiśnicki wurde von Niko Hofinger recherchiert.