Über die >Grenze
back button
  • slideshow
    Bereich des ehemaligen Vorarlberger Hofs am Bahnhofsvorplatz Feldkirch, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems

  • slideshow
    Vorarlberger Hof am Bahnhofplatz Feldkirch, vor 1940
    Stadtarchiv Feldkirch

  • slideshow
    Michael Schnebel, vor 1938
    Privat

  • slideshow
    Emmy Schnebel, vor 1938
    Privat

  • slideshow
    Friedhof St. Peter und Paul in Feldkirch, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems



42    Michael und Emmy Schnebel> 13. November 1938


Text einblenden:


42 Michael und Emmy Schnebel

„Wir halten es für besser im Vaterlande zu sterben“. Michael und Emmy Schnebel nehmen sich im Vorarlberger Hof das Leben
Feldkirch, 13. November 1938

Am 10. November treffen zwei Reisende aus Garmisch-Partenkirchen in Feldkirch ein. Sie beziehen ein Doppelzimmer im Hotel Vorarlberger Hof, neben dem Bahnhof. Am Abend des 13. November öffnet das Hotelpersonal das Zimmer, denn die beiden Gäste sind schon zwei Tage nicht mehr gesehen worden.

 Noch am selben Abend schreibt der Gendarmerieposten einen Bericht an die Bezirkshauptmannschaft:

„Feldkirch, am 13. November 1938.

Dr. Michael Schnebel ist mit seiner Gattin am 10.11.1938 aus Garmisch-Partenkirchen hier eingetroffen. Da sie keine Reisedokumente besaßen, wurde ihnen die beabsichtigte Ausreise in die Schweiz untersagt. Sie mieten im Vorarlbergerhof ein Zimmer. Da die Leute zuletzt am 11.11. abends im Hause gesehen wurden, wurde heute den 13.11. um 19 Uhr das versperrte Zimmer geöffnet, wobei Schnebel und seine Frau tot in den Betten aufgefunden wurden.

Die aufgefundenen Abschiedsbriefe und vier Glasgefäße, in denen je 10 Stück Veronaltabletten waren, lassen zweifellos auf Selbstmord schließen. Der Arzt Dr. Schwärzler ordnete die Überführung der Leichen in die Leichenkammer beim Stadtspital an. Barmittel zur Deckung der Beerdigungskosten sind vorhanden.

Ergeht an die Bezirkshauptmannschaft, Staatsanwaltschaft in Feldkirch und Landesgendarmeriekommando in Bregenz. (Nicht für die Presse!).“[1]

Michael Schnebel ist zum Zeitpunkt seines Freitods 71 Jahre alt. Bis 1930 hatte er an der Münchner Universität als Althistoriker und Experte der Papyrusforschung geforscht. Dann hatte er sich mit seiner Frau Emmy nach Garmisch-Partenkirchen zurückgezogen. Beide waren bekannt für ihren selbstironischen Humor und ihre Liebe zur deutschen Literatur.

 

Michael und Emmy Schnebel

Am 10. November 1938 zieht ein nationalsozialistischer Mob durch die Straßen von Garmisch-Partenkirchen. Die jüdischen Einwohner des Ortes werden aus ihren Häusern gejagt, werden beschimpft und bespuckt. Der NS-Kreisleiter, Johann Hausböck, zwingt sie ein Revers zu unterschreiben, dass sie „Garmisch-Partenkirchen mit dem nächsten erreichbaren Zug verlassen und nie wieder zurückkehren.“ Sie müssen sich verpflichten, ihren Besitz, sämtliche „Grundstücke, Gebäude und Waren sofort von (ihrem) neuen Aufenthaltsplatz aus an einen Arier zu verkaufen.“[2] Ein SA-Mann begleitet sie zum Bahnhof. Einen Koffer haben Michael und Emmy Schnebel noch packen dürfen. Ihre Wohnung wird versiegelt. Ein Mitarbeiter des Einwohnermeldeamtes notiert später auf ihrer Meldekarte: „Seit der Judenaktion unbekannt wohin verzogen.“

In ihrem Abschiedsbrief im Feldkircher Hotelzimmer schreiben die beiden:

 „Es ist das Beste, daß wir aus der Welt gehen.“ […] „wir halten es für besser, im Vaterlande zu sterben, als in der Fremde zu verelenden. Wie Cicero bitten wir, in unserem Vaterlande sterben zu dürfen.“[3]

 Bestattet werden sie zunächst auf dem katholischen Friedhof St. Peter und Paul, direkt hinter dem Hotel, in dem sie sich das Leben genommen haben. Wenige Tage später wendet sich ein Student des Seminars für Alte Geschichte an die Garmisch-Partenkirchner Polizei. Am 24. November 1938 schreibt er:

 „Wie ich darauf hingewiesen wurde, hat in früheren Jahren am papyrologischen Seminar der Universität München der in der letzten Zeit in Garmisch, Waxensteinstr. 1, wohnende Jude Dr. Schnebel gearbeitet und dabei wissenschaftliches Material gesammelt, das von Wert sein könnte. Da nun Grund besteht zur Annahme, daß der Jude nicht mehr in Deutschland weilt und seine Wohnung der Beschlagnahme verfällt, richte ich für das papyrologische Seminar an Sie das Ersuchen, obenerwähntes Material, das für Laien völlig wertlos ist, dem papyrolog. Seminar der Universität München zu übermitteln, wenn dies möglich ist. Es liegt wahrscheinlich vor in Gestalt von Zetteln und Notizen, die in Karthothekkästen und Zigarrenkisten usw. aufbewahrt werden. Da die Reihe der wissenschaftlichen Beiträge, an denen Schnebel in den 20er Jahren mitgearbeitet hat (Münchener Beiträge zur Papyrusforschung), fortgesetzt werden sollen, würden wir großen Wert darauf legen in den Besitz dieser sicher vorhandenen Aufzeichnungen zu kommen. Können Sie uns mit Rat und Tat beistehen, dies zu ermöglichen, wären wir Ihnen sehr dankbar für Ihre Bemühungen. Heil Hitler!“

 Der 23jährige Student Franz Strauß, der sich so eifrig um den wissenschaftlichen Nachlass von Michael Schnebel bemühte, war offenbar über die Vertreibungen aus Garmisch gut informiert, möglicherweise auch durch seinen eigenen Doktorvater auf Schnebels Papiere angesetzt. Er selbst betätigte sich neben dem Studium im Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps als „Weltanschaulicher Referent“ im Sturm 23/M86. Bekannt wurde er freilich nicht als Papyrusforscher, sondern als langjähriger CSU-Vorsitzender und Bayrischer Ministerpräsident, unter seinem vollständigen Namen Franz Josef Strauß.

Michael und Emmy Schnebels letzte Ruhestätte sollte nicht in Feldkirch bleiben. Einem Aktenvermerk des Marktgemeinde-Amtes in Hohenems und einer Notiz im Gräberbuch des Friedhofs St. Peter und Paul ist zu entnehmen, dass im April 1949 die Überreste der beiden auf den Jüdischen Friedhof in Hohenems umgebettet worden sind. Der genaue Ort ihres Grabes ist unbekannt.[4]

Leseempfehlung:
Alfons Dür, „‘Es ist das Beste, daß wir aus der Welt gehen‘ – Der jüdische Althistoriker Dr. Michael Schnebel und seine Frau Emma Schnebel wählen am 14. November 1938 in Feldkirch den Freitod“, in: Montfort. Zeitschrift für Geschichte Vorarlbergs, 74. Jg., 2022, Bd. 1, S. 67-78.


[1] Vorfallenheitsbericht des Gendarmeriepostenkommandos Feldkirch vom 13.11.1938, VLA BH Feldkirch Abt. III. Das Datum des Berichts ist korrigiert, entweder vom 14. auf den 14. November oder umgekehrt, die genaue Datierung ist daher ungewiss.

[3] Zitiert nach: https://www.gapgeschichte.de/juden_in_gap_biographien/schnebel_dr.michael_emma.htm

[4] Stadtarchiv Hohenems Schachtel 69 Zahl 123_11-B, sowie Gräberbuch St. Peter und Paul, Archiv der Diözese Feldkirch.


Bericht des Gendarmeriepostenkommando Feldkirch an die Bezirkshauptmannschaft, 13. November 1938
BH Feldkirch, Abt III, Vorfallenheitsberichte, 20-1938

 

Brief von Franz Josef Strauss an die Polizeidirektion Garmisch-Partenkirchen, 24. November 1938
https://www.gapgeschichte.de/juden_in_gap_biographien/schnebel_dr.michael_emma.htm

42 Michael und Emmy Schnebel

„Wir halten es für besser im Vaterlande zu sterben“. Michael und Emmy Schnebel nehmen sich im Vorarlberger Hof das Leben
Feldkirch, 13. November 1938

Am 10. November treffen zwei Reisende aus Garmisch-Partenkirchen in Feldkirch ein. Sie beziehen ein Doppelzimmer im Hotel Vorarlberger Hof, neben dem Bahnhof. Am Abend des 13. November öffnet das Hotelpersonal das Zimmer, denn die beiden Gäste sind schon zwei Tage nicht mehr gesehen worden.

 Noch am selben Abend schreibt der Gendarmerieposten einen Bericht an die Bezirkshauptmannschaft:

„Feldkirch, am 13. November 1938.

Dr. Michael Schnebel ist mit seiner Gattin am 10.11.1938 aus Garmisch-Partenkirchen hier eingetroffen. Da sie keine Reisedokumente besaßen, wurde ihnen die beabsichtigte Ausreise in die Schweiz untersagt. Sie mieten im Vorarlbergerhof ein Zimmer. Da die Leute zuletzt am 11.11. abends im Hause gesehen wurden, wurde heute den 13.11. um 19 Uhr das versperrte Zimmer geöffnet, wobei Schnebel und seine Frau tot in den Betten aufgefunden wurden.

Die aufgefundenen Abschiedsbriefe und vier Glasgefäße, in denen je 10 Stück Veronaltabletten waren, lassen zweifellos auf Selbstmord schließen. Der Arzt Dr. Schwärzler ordnete die Überführung der Leichen in die Leichenkammer beim Stadtspital an. Barmittel zur Deckung der Beerdigungskosten sind vorhanden.

Ergeht an die Bezirkshauptmannschaft, Staatsanwaltschaft in Feldkirch und Landesgendarmeriekommando in Bregenz. (Nicht für die Presse!).“[1]

Michael Schnebel ist zum Zeitpunkt seines Freitods 71 Jahre alt. Bis 1930 hatte er an der Münchner Universität als Althistoriker und Experte der Papyrusforschung geforscht. Dann hatte er sich mit seiner Frau Emmy nach Garmisch-Partenkirchen zurückgezogen. Beide waren bekannt für ihren selbstironischen Humor und ihre Liebe zur deutschen Literatur.

 

Michael und Emmy Schnebel

Am 10. November 1938 zieht ein nationalsozialistischer Mob durch die Straßen von Garmisch-Partenkirchen. Die jüdischen Einwohner des Ortes werden aus ihren Häusern gejagt, werden beschimpft und bespuckt. Der NS-Kreisleiter, Johann Hausböck, zwingt sie ein Revers zu unterschreiben, dass sie „Garmisch-Partenkirchen mit dem nächsten erreichbaren Zug verlassen und nie wieder zurückkehren.“ Sie müssen sich verpflichten, ihren Besitz, sämtliche „Grundstücke, Gebäude und Waren sofort von (ihrem) neuen Aufenthaltsplatz aus an einen Arier zu verkaufen.“[2] Ein SA-Mann begleitet sie zum Bahnhof. Einen Koffer haben Michael und Emmy Schnebel noch packen dürfen. Ihre Wohnung wird versiegelt. Ein Mitarbeiter des Einwohnermeldeamtes notiert später auf ihrer Meldekarte: „Seit der Judenaktion unbekannt wohin verzogen.“

In ihrem Abschiedsbrief im Feldkircher Hotelzimmer schreiben die beiden:

 „Es ist das Beste, daß wir aus der Welt gehen.“ […] „wir halten es für besser, im Vaterlande zu sterben, als in der Fremde zu verelenden. Wie Cicero bitten wir, in unserem Vaterlande sterben zu dürfen.“[3]

 Bestattet werden sie zunächst auf dem katholischen Friedhof St. Peter und Paul, direkt hinter dem Hotel, in dem sie sich das Leben genommen haben. Wenige Tage später wendet sich ein Student des Seminars für Alte Geschichte an die Garmisch-Partenkirchner Polizei. Am 24. November 1938 schreibt er:

 „Wie ich darauf hingewiesen wurde, hat in früheren Jahren am papyrologischen Seminar der Universität München der in der letzten Zeit in Garmisch, Waxensteinstr. 1, wohnende Jude Dr. Schnebel gearbeitet und dabei wissenschaftliches Material gesammelt, das von Wert sein könnte. Da nun Grund besteht zur Annahme, daß der Jude nicht mehr in Deutschland weilt und seine Wohnung der Beschlagnahme verfällt, richte ich für das papyrologische Seminar an Sie das Ersuchen, obenerwähntes Material, das für Laien völlig wertlos ist, dem papyrolog. Seminar der Universität München zu übermitteln, wenn dies möglich ist. Es liegt wahrscheinlich vor in Gestalt von Zetteln und Notizen, die in Karthothekkästen und Zigarrenkisten usw. aufbewahrt werden. Da die Reihe der wissenschaftlichen Beiträge, an denen Schnebel in den 20er Jahren mitgearbeitet hat (Münchener Beiträge zur Papyrusforschung), fortgesetzt werden sollen, würden wir großen Wert darauf legen in den Besitz dieser sicher vorhandenen Aufzeichnungen zu kommen. Können Sie uns mit Rat und Tat beistehen, dies zu ermöglichen, wären wir Ihnen sehr dankbar für Ihre Bemühungen. Heil Hitler!“

 Der 23jährige Student Franz Strauß, der sich so eifrig um den wissenschaftlichen Nachlass von Michael Schnebel bemühte, war offenbar über die Vertreibungen aus Garmisch gut informiert, möglicherweise auch durch seinen eigenen Doktorvater auf Schnebels Papiere angesetzt. Er selbst betätigte sich neben dem Studium im Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps als „Weltanschaulicher Referent“ im Sturm 23/M86. Bekannt wurde er freilich nicht als Papyrusforscher, sondern als langjähriger CSU-Vorsitzender und Bayrischer Ministerpräsident, unter seinem vollständigen Namen Franz Josef Strauß.

Michael und Emmy Schnebels letzte Ruhestätte sollte nicht in Feldkirch bleiben. Einem Aktenvermerk des Marktgemeinde-Amtes in Hohenems und einer Notiz im Gräberbuch des Friedhofs St. Peter und Paul ist zu entnehmen, dass im April 1949 die Überreste der beiden auf den Jüdischen Friedhof in Hohenems umgebettet worden sind. Der genaue Ort ihres Grabes ist unbekannt.[4]

Leseempfehlung:
Alfons Dür, „‘Es ist das Beste, daß wir aus der Welt gehen‘ – Der jüdische Althistoriker Dr. Michael Schnebel und seine Frau Emma Schnebel wählen am 14. November 1938 in Feldkirch den Freitod“, in: Montfort. Zeitschrift für Geschichte Vorarlbergs, 74. Jg., 2022, Bd. 1, S. 67-78.


[1] Vorfallenheitsbericht des Gendarmeriepostenkommandos Feldkirch vom 13.11.1938, VLA BH Feldkirch Abt. III. Das Datum des Berichts ist korrigiert, entweder vom 14. auf den 14. November oder umgekehrt, die genaue Datierung ist daher ungewiss.

[3] Zitiert nach: https://www.gapgeschichte.de/juden_in_gap_biographien/schnebel_dr.michael_emma.htm

[4] Stadtarchiv Hohenems Schachtel 69 Zahl 123_11-B, sowie Gräberbuch St. Peter und Paul, Archiv der Diözese Feldkirch.


Bericht des Gendarmeriepostenkommando Feldkirch an die Bezirkshauptmannschaft, 13. November 1938
BH Feldkirch, Abt III, Vorfallenheitsberichte, 20-1938

 

Brief von Franz Josef Strauss an die Polizeidirektion Garmisch-Partenkirchen, 24. November 1938
https://www.gapgeschichte.de/juden_in_gap_biographien/schnebel_dr.michael_emma.htm

Kurzbiografien der genannten Personen

Michael Schnebel geboren 10.4.1867 in Nürnberg, gestorben am 13. oder 14.11.1938 in Feldkirch. Der Althistoriker und Papyrologe forschte an der Ludwig-Maximilian-Universität München am Papyrologischen Institut. 1930 zog er sich mit seiner Frau Emmy nach Garmisch-Partenkirchen zurück. Am 10.11.1938 wurden sie von dort gewaltsam vertrieben und flohen nach Feldkirch. Nachdem sie erfuhren, dass ein Grenzübertritt in die Schweiz nicht mehr möglich war, nahmen sie sich im Hotel Vorarlberger Hof das Leben.

Emmy Schnebel geborene Rosenfeld am 14.5.1881 in Nürnberg, gestorben am 13. oder 14.11.1938 in Feldkirch. Ihr Mann, der Althistoriker und Papyrologe Michael Schnebel, forschte an der Ludwig-Maximilian-Universität München am Papyrologischen Institut. 1930 zog sich das Ehepaar nach Garmisch-Partenkirchen zurück. Am 10.11.1938 wurden sie von dort gewaltsam vertrieben und flohen nach Feldkirch. Nachdem sie erfuhren, dass ein Grenzübertritt in die Schweiz nicht mehr möglich war, nahmen sie sich im Gasthof Vorarlberger Hof das Leben.