41 Carl Zuckmayer
Massenflucht nach dem Anschluss: Carl Zuckmayer wird kontrolliert
Bahnhof Feldkirch, 15. März 1938
Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich fliehen tausende aus Wien. Juden und auch politische Gegner der Nazis versuchen zumeist mit dem Zug über Feldkirch, Liechtenstein und Buchs die rettende Schweiz zu erreichen. Noch hat die Schweiz keinen Visumzwang eingeführt. Unter den Flüchtlingen ist, so wie Walter Mehring und Gina Kaus, Jura Soyfer und Hertha Pauli, auch der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer.
1933 war er nach Österreich emigriert und seine Werke wurden im Deutschen Reich verbrannt. Am 15. März 1938 gelingt es ihm in letzter Sekunde zu fliehen, während ein nationalsozialistisches Rollkommando erst sein Haus in Henndorf bei Salzburg, dann seine Wohnung in Wien stürmt, um ihn festzunehmen. Als „Halbjude“ erregt der in Deutschland einst so populäre Zuckmayer die besondere Wut der Nazis. In seiner Autobiografie „Als wärs ein Stück von mir“ beschreibt er seine Ankunft in Feldkirch auf dem Weg nach Zürich.
„Als der Zug langsam in Feldkirch einfuhr und man den grellen Kegel der Scheinwerfer sah, hatte ich wenig Hoffnung. Ich empfand eigentlich nichts und dachte in diesem Moment auch nichts. Eine kalte Spannung hatte mich erfüllt. Aber alle Instinkte waren auf Rettung konzentriert. Ich denke heute: ob es dem Fuchs so zumute ist, wenn er die Meute hört?
‚Alles raus, mit Gepäck! Der Zug wird geräumt.‘ Träger!‘ rief ich. ‚Selber schleppen‘, schrie eine Stimme, ‚es gibt keine Träger für euch.‘ Man war, als Insasse dieses Zugs, bereits nur noch in der Mehrzahl vorhanden. […] Ich wurde über den langen Perron des Bahnhofs geführt, während mein Gepäck zurückblieb und der Gründlichkeit anheimfiel. Ganz am Ende des Bahnhofs, wo es stockdunkel wurde, waren einige Baracken sichtbar. Es roch knoblauchartig, nach feuchtem Karbid, und der kreidige Schein einer Fahrradlampe schwankte über dem Barackeneingang.
In der Baracke saß ein blonder magerer Mensch in der Uniform der SS hinter einem Tisch, er trug eine Stahlbrille und sah überanstrengt und unterernährt aus. Vor dem Tisch stand ein Mann mit aufgeschlagenem Mantelkragen und gesenktem Kopf, der offenbar gerade verhört worden war.
‚Ins Revier zum Abtransport‘, hörte ich die Stimme des Beamten, ‚wenn überfüllt ins Ortsgefängnis. Der nächste Herr bitte.‘ […]
‚Carl Zuckmayer‘, sagte er. – ‚Aha.‘
Er starrte in den Paß, blätterte darin herum, sein Gesicht wurde nachdenklich. Immer wieder starrte er auf die erste Seite. Ich merkte, daß ihn die fünfjährige Gültigkeit irritierte: Juden bekamen damals nur noch Pässe für sechs Monate, wenn überhaupt. Meiner war früher im deutschen Konsulat in Salzburg ausgestellt worden, wo man korrekt verfuhr und mir wohlwollte.“
Zuckmayer gelingt es, mit unerschrockenem Auftreten und dem Verweis auf seine Kriegsdekorationen den jungen SS-Mann zu beeindrucken. Und bekommt die Erlaubnis weiterzufahren. Doch noch muss er in der Bahnhofswirtschaft warten.
„Der Tag dämmerte bereits, mein Puls klopfte mit dem Ticken der Uhr. Wenn man nur schon raus wäre. Jede Sekunde kann irgendeine neue Wendung bringen. Jede Ablösung eines Grenzbeamten eine neue Verdächtigung, die ganze Komödie war umsonst.“
Schließlich fährt sein Zug.
„Der Himmel war glasgrün und wolkenlos, die Sonne flimmerte auf dem Firnschnee, als der Zug die Grenze passierte. Die Schweizer Zollbeamten kamen herein und stießen freundliche Rachenlaute aus. Alles war vorbei. Ich saß in einem Zug, und er ging nicht in Richtung Dachau.“[1]
[1] Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. Frankfurt/Main 1966; Frankfurt/Main 1994, S. 103ff.
41 Carl Zuckmayer
Massenflucht nach dem Anschluss: Carl Zuckmayer wird kontrolliert
Bahnhof Feldkirch, 15. März 1938
Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich fliehen tausende aus Wien. Juden und auch politische Gegner der Nazis versuchen zumeist mit dem Zug über Feldkirch, Liechtenstein und Buchs die rettende Schweiz zu erreichen. Noch hat die Schweiz keinen Visumzwang eingeführt. Unter den Flüchtlingen ist, so wie Walter Mehring und Gina Kaus, Jura Soyfer und Hertha Pauli, auch der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer.
1933 war er nach Österreich emigriert und seine Werke wurden im Deutschen Reich verbrannt. Am 15. März 1938 gelingt es ihm in letzter Sekunde zu fliehen, während ein nationalsozialistisches Rollkommando erst sein Haus in Henndorf bei Salzburg, dann seine Wohnung in Wien stürmt, um ihn festzunehmen. Als „Halbjude“ erregt der in Deutschland einst so populäre Zuckmayer die besondere Wut der Nazis. In seiner Autobiografie „Als wärs ein Stück von mir“ beschreibt er seine Ankunft in Feldkirch auf dem Weg nach Zürich.
„Als der Zug langsam in Feldkirch einfuhr und man den grellen Kegel der Scheinwerfer sah, hatte ich wenig Hoffnung. Ich empfand eigentlich nichts und dachte in diesem Moment auch nichts. Eine kalte Spannung hatte mich erfüllt. Aber alle Instinkte waren auf Rettung konzentriert. Ich denke heute: ob es dem Fuchs so zumute ist, wenn er die Meute hört?
‚Alles raus, mit Gepäck! Der Zug wird geräumt.‘ Träger!‘ rief ich. ‚Selber schleppen‘, schrie eine Stimme, ‚es gibt keine Träger für euch.‘ Man war, als Insasse dieses Zugs, bereits nur noch in der Mehrzahl vorhanden. […] Ich wurde über den langen Perron des Bahnhofs geführt, während mein Gepäck zurückblieb und der Gründlichkeit anheimfiel. Ganz am Ende des Bahnhofs, wo es stockdunkel wurde, waren einige Baracken sichtbar. Es roch knoblauchartig, nach feuchtem Karbid, und der kreidige Schein einer Fahrradlampe schwankte über dem Barackeneingang.
In der Baracke saß ein blonder magerer Mensch in der Uniform der SS hinter einem Tisch, er trug eine Stahlbrille und sah überanstrengt und unterernährt aus. Vor dem Tisch stand ein Mann mit aufgeschlagenem Mantelkragen und gesenktem Kopf, der offenbar gerade verhört worden war.
‚Ins Revier zum Abtransport‘, hörte ich die Stimme des Beamten, ‚wenn überfüllt ins Ortsgefängnis. Der nächste Herr bitte.‘ […]
‚Carl Zuckmayer‘, sagte er. – ‚Aha.‘
Er starrte in den Paß, blätterte darin herum, sein Gesicht wurde nachdenklich. Immer wieder starrte er auf die erste Seite. Ich merkte, daß ihn die fünfjährige Gültigkeit irritierte: Juden bekamen damals nur noch Pässe für sechs Monate, wenn überhaupt. Meiner war früher im deutschen Konsulat in Salzburg ausgestellt worden, wo man korrekt verfuhr und mir wohlwollte.“
Zuckmayer gelingt es, mit unerschrockenem Auftreten und dem Verweis auf seine Kriegsdekorationen den jungen SS-Mann zu beeindrucken. Und bekommt die Erlaubnis weiterzufahren. Doch noch muss er in der Bahnhofswirtschaft warten.
„Der Tag dämmerte bereits, mein Puls klopfte mit dem Ticken der Uhr. Wenn man nur schon raus wäre. Jede Sekunde kann irgendeine neue Wendung bringen. Jede Ablösung eines Grenzbeamten eine neue Verdächtigung, die ganze Komödie war umsonst.“
Schließlich fährt sein Zug.
„Der Himmel war glasgrün und wolkenlos, die Sonne flimmerte auf dem Firnschnee, als der Zug die Grenze passierte. Die Schweizer Zollbeamten kamen herein und stießen freundliche Rachenlaute aus. Alles war vorbei. Ich saß in einem Zug, und er ging nicht in Richtung Dachau.“[1]
[1] Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. Frankfurt/Main 1966; Frankfurt/Main 1994, S. 103ff.