39 Edith Meyer und Heinrich Heinen
Eine Liebe die nicht sein durfte: Edith Meyer und Heinrich Heinen
Feldkirch – Hohenems, 30. August 1942 bis 1. September 1942
Am 30. August 1942 gelingt es sechs Häftlingen aus dem Gefangenenhaus hinter dem Landgericht Feldkirch auszubrechen. Josef Höfel, ein 19-jähriger Hilfsarbeiter aus Hohenems, der schon mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, sitzt wegen Hochverrat ein, er gehörte angeblich einer kommunistischen Widerstandsorganisation an. Erwin Kermer, einem sechzehnjährigen Tischlehrlehrling, wurde vorgeworfen, einen „unbefugten Grenzübertritt“ in die Schweiz geplant zu haben. Othmar Rathgeb, ein 17-jähriger Schweizer, hatte erfolglos versucht im Deutschen Reich in der Marine aufgenommen zu werden. Beim Versuch in seine Heimat zurückzukehren, wurde er schon im Eisenbahnzug nach Feldkirch wegen Passvergehens festgenommen. Paul Schwetling aus Ostpreußen hatte bei Lustenau versucht, vor seiner Einberufung zur Luftwaffe in die Schweiz zu fliehen, und auch Friedrich Frolik, ein junger Tscheche, hatte bei Feldkirch versucht in die Schweiz hinüber zu gelangen.
Den Anstoß zum gemeinschaftlichen Ausbruch hat allerdings ein weiterer Mitgefangener gegeben: Heinrich Heinen aus Köln. Drei Tage zuvor ist Heinen in Feldkirch wegen „Rassenschande“, Wehrdienstentziehung und Passvergehens verurteilt worden. Gemeinsam mit seiner jüdischen Verlobten Edith Meyer, hat er im Juni bei Feldkirch versucht, in die Schweiz zu fliehen. Ihre Liebe ist in Deutschland verboten.
Die neunzehnjährige Edith Meyer wird mit ihrer Familie 1939 in Langenfeld bei Düsseldorf in ein „Judenhaus“ zwangsumgesiedelt. Im Dezember 1941 wird sie nach Riga deportiert. Heinrich Heinen aber gelingt es, sie dort im April 1942 auf abenteuerliche Weise aus dem Ghetto zu befreien. Nach einer Odyssee über Königsberg, Berlin, Köln, Solingen, Königswinter, Konstanz und Bludenz werden die beiden am Abend des 22. Juni 1942 in Feldkirch verhaftet. Als sie kurz nach Mitternacht ins Gefangenenhaus eingeliefert werden, sehen sich die beiden zum letzten Mal.
Am 30. August gelingt es Heinen und seinen fünf Zellengefährten zwei Wachen zu überwältigen und ihre Waffen an sich zu nehmen. Doch statt sofort zu fliehen, sucht Heinen anderthalb Stunden lang im Gefangenenhaus vergeblich nach seiner Geliebten. Schließlich teilen sich die Ausbrecher in zwei Gruppen auf. Die meisten werden bald gefasst, in Feldkirch und Lustenau. Höfel und Heinen entkommen in Lustenau noch einmal ihrer Verhaftung und verstecken sich eine Nacht im Hohenemser Ortsteil Oberklien. Die Chronik des Gendarmeriepostens Hohenems hält unter dem Datum des 1. September unter der Überschrift „Waffengebrauch gegen Schwerverbrecher“ fest:
„Die Ausbrecher versuchten auf entwendeten Fahrrädern in die Schweiz zu flüchten. Höfel hatte in Hohenems Oberklien alte Schmugglerfreunde und suchte dort mit Heinen vorerst Unterschlupf. Am 1.9.1942 gegen 14.20 Uhr erfuhr der Gendarmerieposten, daß Höfel und noch ein unbekannter Mann sich in Oberklien beim Hause Nr. 7 aufhalten sollen. Der Postenführer Meister Linder organisierte einen Festnahmeplan und schritt um 14.55 Uhr mit Oberwachtmeister der Gemeinde Welte und, da weitere Gendarmen am Posten nicht anwesend waren, mit Meister der Schutzpolizei der Gemeinde Anton Margreiter und dem Grenzschutzmann Alfred Huchler aus Hohenems gegen die Verbrecher ein. Höfel und Heinen gaben sogleich gegen den sie anhaltenden Meister Linder auf eine Entfernung von 19 m mehrere Pistolenschüsse ab, die jedoch, da Meister Linder am Boden sofort Deckung fand, fehl gingen. Höfel wurde dann durch einen Gehirnschuß und Heinen, der schließlich zu flüchten versuchte und hiebei auch auf den Grenzschutzmann Huchler weitere Schüsse abfeuerte, von Huchler durch 2 Schüsse tödlich getroffen. – Die Leichen wurden in die Leichenhalle des Krankenhauses verbracht und am 3.9. um 5 Uhr in der Früh außerkirchlich und unauffällig auf dem Ortsfriedhof beerdigt.“[1]
Heinen hat seine Verlobte im Feldkircher Gefangenhaus nicht finden können, weil sie schon einen Tag zuvor in die Hände der Gestapo übergeben worden ist. Von Innsbruck wird sie am 9. Oktober 1942 nach Auschwitz deportiert. Seither fehlt jede Nachricht von ihr.
Leseempfehlung:
Alfons Dür, Unerhörter Mut. Eine Liebe in der Zeit des Rassenwahns. Innsbruck 2012.
[1] Zitiert nach Alfons Dür, Unerhörter Mut. Eine Liebe in der Zeit des Rassenwahns. Innsbruck 2012, S. 143f.
39 Edith Meyer und Heinrich Heinen
Eine Liebe die nicht sein durfte: Edith Meyer und Heinrich Heinen
Feldkirch – Hohenems, 30. August 1942 bis 1. September 1942
Am 30. August 1942 gelingt es sechs Häftlingen aus dem Gefangenenhaus hinter dem Landgericht Feldkirch auszubrechen. Josef Höfel, ein 19-jähriger Hilfsarbeiter aus Hohenems, der schon mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, sitzt wegen Hochverrat ein, er gehörte angeblich einer kommunistischen Widerstandsorganisation an. Erwin Kermer, einem sechzehnjährigen Tischlehrlehrling, wurde vorgeworfen, einen „unbefugten Grenzübertritt“ in die Schweiz geplant zu haben. Othmar Rathgeb, ein 17-jähriger Schweizer, hatte erfolglos versucht im Deutschen Reich in der Marine aufgenommen zu werden. Beim Versuch in seine Heimat zurückzukehren, wurde er schon im Eisenbahnzug nach Feldkirch wegen Passvergehens festgenommen. Paul Schwetling aus Ostpreußen hatte bei Lustenau versucht, vor seiner Einberufung zur Luftwaffe in die Schweiz zu fliehen, und auch Friedrich Frolik, ein junger Tscheche, hatte bei Feldkirch versucht in die Schweiz hinüber zu gelangen.
Den Anstoß zum gemeinschaftlichen Ausbruch hat allerdings ein weiterer Mitgefangener gegeben: Heinrich Heinen aus Köln. Drei Tage zuvor ist Heinen in Feldkirch wegen „Rassenschande“, Wehrdienstentziehung und Passvergehens verurteilt worden. Gemeinsam mit seiner jüdischen Verlobten Edith Meyer, hat er im Juni bei Feldkirch versucht, in die Schweiz zu fliehen. Ihre Liebe ist in Deutschland verboten.
Die neunzehnjährige Edith Meyer wird mit ihrer Familie 1939 in Langenfeld bei Düsseldorf in ein „Judenhaus“ zwangsumgesiedelt. Im Dezember 1941 wird sie nach Riga deportiert. Heinrich Heinen aber gelingt es, sie dort im April 1942 auf abenteuerliche Weise aus dem Ghetto zu befreien. Nach einer Odyssee über Königsberg, Berlin, Köln, Solingen, Königswinter, Konstanz und Bludenz werden die beiden am Abend des 22. Juni 1942 in Feldkirch verhaftet. Als sie kurz nach Mitternacht ins Gefangenenhaus eingeliefert werden, sehen sich die beiden zum letzten Mal.
Am 30. August gelingt es Heinen und seinen fünf Zellengefährten zwei Wachen zu überwältigen und ihre Waffen an sich zu nehmen. Doch statt sofort zu fliehen, sucht Heinen anderthalb Stunden lang im Gefangenenhaus vergeblich nach seiner Geliebten. Schließlich teilen sich die Ausbrecher in zwei Gruppen auf. Die meisten werden bald gefasst, in Feldkirch und Lustenau. Höfel und Heinen entkommen in Lustenau noch einmal ihrer Verhaftung und verstecken sich eine Nacht im Hohenemser Ortsteil Oberklien. Die Chronik des Gendarmeriepostens Hohenems hält unter dem Datum des 1. September unter der Überschrift „Waffengebrauch gegen Schwerverbrecher“ fest:
„Die Ausbrecher versuchten auf entwendeten Fahrrädern in die Schweiz zu flüchten. Höfel hatte in Hohenems Oberklien alte Schmugglerfreunde und suchte dort mit Heinen vorerst Unterschlupf. Am 1.9.1942 gegen 14.20 Uhr erfuhr der Gendarmerieposten, daß Höfel und noch ein unbekannter Mann sich in Oberklien beim Hause Nr. 7 aufhalten sollen. Der Postenführer Meister Linder organisierte einen Festnahmeplan und schritt um 14.55 Uhr mit Oberwachtmeister der Gemeinde Welte und, da weitere Gendarmen am Posten nicht anwesend waren, mit Meister der Schutzpolizei der Gemeinde Anton Margreiter und dem Grenzschutzmann Alfred Huchler aus Hohenems gegen die Verbrecher ein. Höfel und Heinen gaben sogleich gegen den sie anhaltenden Meister Linder auf eine Entfernung von 19 m mehrere Pistolenschüsse ab, die jedoch, da Meister Linder am Boden sofort Deckung fand, fehl gingen. Höfel wurde dann durch einen Gehirnschuß und Heinen, der schließlich zu flüchten versuchte und hiebei auch auf den Grenzschutzmann Huchler weitere Schüsse abfeuerte, von Huchler durch 2 Schüsse tödlich getroffen. – Die Leichen wurden in die Leichenhalle des Krankenhauses verbracht und am 3.9. um 5 Uhr in der Früh außerkirchlich und unauffällig auf dem Ortsfriedhof beerdigt.“[1]
Heinen hat seine Verlobte im Feldkircher Gefangenhaus nicht finden können, weil sie schon einen Tag zuvor in die Hände der Gestapo übergeben worden ist. Von Innsbruck wird sie am 9. Oktober 1942 nach Auschwitz deportiert. Seither fehlt jede Nachricht von ihr.
Leseempfehlung:
Alfons Dür, Unerhörter Mut. Eine Liebe in der Zeit des Rassenwahns. Innsbruck 2012.
[1] Zitiert nach Alfons Dür, Unerhörter Mut. Eine Liebe in der Zeit des Rassenwahns. Innsbruck 2012, S. 143f.