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    Kopfloch am Alten Rhein, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems

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    Fluchthelfer Edmund Fleisch auf seinem Motorrad, undatiert
    Gemeindearchiv Altach

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    Alter Rhein zwischen Hohenems und Altach mit Blick auf den Kummenberg und den Hohen Kasten, Mai 1943
    Jüdisches Museum Hohenems



32    Edmund Fleisch> Herbst 1938


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32 Edmund Fleisch

„Ich hab gottseidank schlagfertig lügen können“. Der Fluchthelfer Edmund Fleisch
Altach, Herbst 1938

„Ich bin ein alter Schmuggler gewesen. In der arbeitslosen Zeit in Österreich, als wir jungen Leute arbeitslos gewesen sind, da haben wir Zucker und Kaffee über die Grenze geschmuggelt. Und ich bin bekannt gewesen, also im Gelände gut bekannt. Verstehen Sie?“[1]

1991 erzählt Edmund Fleisch dem Schweizer Historiker Stefan Keller von seiner Tätigkeit als Fluchthelfer an der Grenze bei Altach. In den ersten Monaten nach dem sogenannten „Anschluss“ werden die Flüchtlinge aus Wien noch von der Gestapo selbst über die Grenze geschickt, nach dem sie alle ihre Habseligkeiten abzuliefern haben. Noch hat vor allem ihre Vertreibung und Beraubung Priorität. Die Vorarlberger Gastwirte werden angewiesen, ankommende Juden beim nächsten Zollamt zu melden. Und der Bezirkszollkommissar ordnet an, keinen Aufenthalt von mehr als drei Tagen zu dulden. Doch im Spätsommer wird nicht nur die Schweizer Grenzpolizei verstärkt, auch die NS-Behörden schreiten nun erbarmungslos gegen Fluchtversuche ein. Fluchthelfer wie Edmund Fleisch sind nun unverzichtbar, um illegal über die Grenze zu gelangen. Fleisch bekommt den Spitznamen „Bruder in Not“.

„Und dann hat man die Leute halt zu mir geschickt, gell! Und ich habe bei Nacht und Nebel diese Leute über die Grenze gebracht. – Jaja... also damals... niemals mehr... wir sind dann von der SS verfolgt worden, mein Haus ist bespitzelt worden... unter allen Umständen... Und dann bin ich einmal vorgeladen worden auf die Geheime Staatspolizei in Bregenz, Römerstrasse, und da bin ich drei Stunden gewesen, und alle drei Stunden habe ich gottseidank schlagfertig lügen können, sonst hätten sie ... und von da an habe ich natürlich ganz vorsichtig umgehen müssen. – Verstehen Sie, es hat sich niemand mehr getraut wegen der Gestapo.“

Edmund Fleisch verdingt sich als Hilfsarbeiter in der Stickereibranche, er ist 28 Jahre alt, und ein erfahrener Schmuggler. Er ist nicht der einzige Fluchthelfer im Ort. Auch Rudolf Egle oder Ludwig Gächter helfen den Verfolgten, die hier ankommen, über die Grenze.[2] Fleischs Anlaufstelle ist das Gasthaus „Sonne“. Dort treffen die Flüchtlinge ein. Verständigt wird er zuvor aus St. Gallen, zumeist von Recha Sternbuch, die mit ihrem Mann Isaac 1938 ein aktives Netzwerk zur Rettung jüdischer Flüchtlinge aufgebaut hat – und durch Willi Hutter, ein Gemüsehändler in Diepoldsau.

„Meistens von der Frau Sternbuch. Und von diesem Hutter. Die Leute sind mit diesem Hutter auch irgendwie... also perfekt gestanden. Ich konnte nicht wissen, ob morgen nicht wieder ein paar kommen, und dann bin ich […] verständigt worden und habe sie dann abgenommen. Und die andern, die ich in Landeck holte, in Ulm, das ging natürlich nicht hierher. Die Leute haben sich mit der Bahn nicht mehr hergetraut, weil die SS in Zivil kontrollierte. Es war schwierig für die Leute, überhaupt noch nach Vorarlberg zu kommen, in das Grenzgebiet.“

Fleisch holt mit Hilfe des Hohenemser Taxiunternehmers Beck Flüchtlinge von Ulm oder von Landeck ab. Auch sie werden über die Schleuse am Altacher Schwimmbad über die Grenze gebracht. Nur einmal begegnet er Recha Sternbuch persönlich, bei einem Treffen in Hohenems.

Nicht nur Fleisch wird von der Polizei verhört. Auch Willi Hutter in Diepoldsau bekommt Probleme mit den Schweizer Behörden. Am 12. Mai 1939 wird sein Haus durchsucht. Landjäger Butz protokolliert:

„Unser Augenmerk richtete sich besonders auf Schriftsachen, die sich auf Emigrantenschmuggel beziehen könnten. In dieser Hinsicht wurde aus dem Ofen in der Wohnstube einiges belastendes Material gefunden und beschlagnahmt. In dem Notizbüchlein bezeichnet ‚Allgemeines‘ befinden sich verschiedene jüdische Namen und Aufzeichnungen über Geldbeträge. […] Besonders belastend dürften auch die Briefe und die Postkarte sein, die von einem gewissen ‚Herbert‘ aus St. Gallen an Hutter gerichtet sind […] Im Briefe datiert vom 23.11.1938 von Herbert ist erwähnt, dass am Freitag ‚6 Säcke Kartoffel‘ in Bludenz laut Fahrplan um 12.10 eintreffen, das wäre somit der 25. November gewesen. Am folgenden Tage, 26.11.1938, sind auch prompt 6 neu eingereiste Flüchtlinge, die illegal die Grenze bei Diepoldsau überschritten haben, beim Polizeikommando zur Anmeldung gelangt.“[3]

1939 findet Edmund Fleisch Arbeit in Friedrichshafen, als Eisendreher in einem Motorenwerk. Dann wird er eingezogen und dient fünf Jahre als Soldat, in Griechenland, Russland und Italien. Nach dem Krieg arbeitet er als Planierraupenfahrer. Er stirbt, 82jährig, im Jahr 1992.


[1] Interview Edmund Fleisch durch Stefan Keller, 28.10.1991.

[2] Harald Walser, „Altach im Zeitalter der Diktaturen“, in: Rudolf Giesinger/Harald Walser (Hg.), Altach. Geschichte und Gegenwart. Bd. 1, Altach 1999, S. 223-236; Gernot Egger, „Ins Freie? Die vorarlbergisch-schweizerische Grenze 1933-1945“, in: Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933-1945, Hg. Johann-August-Malin-Gesellschaft. Bregenz: Fink’s Verlag, 1985, S. 234-257.

[3] Stefan Keller, Grüningers Fall. Zürich 1993, S. 180f.

32 Edmund Fleisch

„Ich hab gottseidank schlagfertig lügen können“. Der Fluchthelfer Edmund Fleisch
Altach, Herbst 1938

„Ich bin ein alter Schmuggler gewesen. In der arbeitslosen Zeit in Österreich, als wir jungen Leute arbeitslos gewesen sind, da haben wir Zucker und Kaffee über die Grenze geschmuggelt. Und ich bin bekannt gewesen, also im Gelände gut bekannt. Verstehen Sie?“[1]

1991 erzählt Edmund Fleisch dem Schweizer Historiker Stefan Keller von seiner Tätigkeit als Fluchthelfer an der Grenze bei Altach. In den ersten Monaten nach dem sogenannten „Anschluss“ werden die Flüchtlinge aus Wien noch von der Gestapo selbst über die Grenze geschickt, nach dem sie alle ihre Habseligkeiten abzuliefern haben. Noch hat vor allem ihre Vertreibung und Beraubung Priorität. Die Vorarlberger Gastwirte werden angewiesen, ankommende Juden beim nächsten Zollamt zu melden. Und der Bezirkszollkommissar ordnet an, keinen Aufenthalt von mehr als drei Tagen zu dulden. Doch im Spätsommer wird nicht nur die Schweizer Grenzpolizei verstärkt, auch die NS-Behörden schreiten nun erbarmungslos gegen Fluchtversuche ein. Fluchthelfer wie Edmund Fleisch sind nun unverzichtbar, um illegal über die Grenze zu gelangen. Fleisch bekommt den Spitznamen „Bruder in Not“.

„Und dann hat man die Leute halt zu mir geschickt, gell! Und ich habe bei Nacht und Nebel diese Leute über die Grenze gebracht. – Jaja... also damals... niemals mehr... wir sind dann von der SS verfolgt worden, mein Haus ist bespitzelt worden... unter allen Umständen... Und dann bin ich einmal vorgeladen worden auf die Geheime Staatspolizei in Bregenz, Römerstrasse, und da bin ich drei Stunden gewesen, und alle drei Stunden habe ich gottseidank schlagfertig lügen können, sonst hätten sie ... und von da an habe ich natürlich ganz vorsichtig umgehen müssen. – Verstehen Sie, es hat sich niemand mehr getraut wegen der Gestapo.“

Edmund Fleisch verdingt sich als Hilfsarbeiter in der Stickereibranche, er ist 28 Jahre alt, und ein erfahrener Schmuggler. Er ist nicht der einzige Fluchthelfer im Ort. Auch Rudolf Egle oder Ludwig Gächter helfen den Verfolgten, die hier ankommen, über die Grenze.[2] Fleischs Anlaufstelle ist das Gasthaus „Sonne“. Dort treffen die Flüchtlinge ein. Verständigt wird er zuvor aus St. Gallen, zumeist von Recha Sternbuch, die mit ihrem Mann Isaac 1938 ein aktives Netzwerk zur Rettung jüdischer Flüchtlinge aufgebaut hat – und durch Willi Hutter, ein Gemüsehändler in Diepoldsau.

„Meistens von der Frau Sternbuch. Und von diesem Hutter. Die Leute sind mit diesem Hutter auch irgendwie... also perfekt gestanden. Ich konnte nicht wissen, ob morgen nicht wieder ein paar kommen, und dann bin ich […] verständigt worden und habe sie dann abgenommen. Und die andern, die ich in Landeck holte, in Ulm, das ging natürlich nicht hierher. Die Leute haben sich mit der Bahn nicht mehr hergetraut, weil die SS in Zivil kontrollierte. Es war schwierig für die Leute, überhaupt noch nach Vorarlberg zu kommen, in das Grenzgebiet.“

Fleisch holt mit Hilfe des Hohenemser Taxiunternehmers Beck Flüchtlinge von Ulm oder von Landeck ab. Auch sie werden über die Schleuse am Altacher Schwimmbad über die Grenze gebracht. Nur einmal begegnet er Recha Sternbuch persönlich, bei einem Treffen in Hohenems.

Nicht nur Fleisch wird von der Polizei verhört. Auch Willi Hutter in Diepoldsau bekommt Probleme mit den Schweizer Behörden. Am 12. Mai 1939 wird sein Haus durchsucht. Landjäger Butz protokolliert:

„Unser Augenmerk richtete sich besonders auf Schriftsachen, die sich auf Emigrantenschmuggel beziehen könnten. In dieser Hinsicht wurde aus dem Ofen in der Wohnstube einiges belastendes Material gefunden und beschlagnahmt. In dem Notizbüchlein bezeichnet ‚Allgemeines‘ befinden sich verschiedene jüdische Namen und Aufzeichnungen über Geldbeträge. […] Besonders belastend dürften auch die Briefe und die Postkarte sein, die von einem gewissen ‚Herbert‘ aus St. Gallen an Hutter gerichtet sind […] Im Briefe datiert vom 23.11.1938 von Herbert ist erwähnt, dass am Freitag ‚6 Säcke Kartoffel‘ in Bludenz laut Fahrplan um 12.10 eintreffen, das wäre somit der 25. November gewesen. Am folgenden Tage, 26.11.1938, sind auch prompt 6 neu eingereiste Flüchtlinge, die illegal die Grenze bei Diepoldsau überschritten haben, beim Polizeikommando zur Anmeldung gelangt.“[3]

1939 findet Edmund Fleisch Arbeit in Friedrichshafen, als Eisendreher in einem Motorenwerk. Dann wird er eingezogen und dient fünf Jahre als Soldat, in Griechenland, Russland und Italien. Nach dem Krieg arbeitet er als Planierraupenfahrer. Er stirbt, 82jährig, im Jahr 1992.


[1] Interview Edmund Fleisch durch Stefan Keller, 28.10.1991.

[2] Harald Walser, „Altach im Zeitalter der Diktaturen“, in: Rudolf Giesinger/Harald Walser (Hg.), Altach. Geschichte und Gegenwart. Bd. 1, Altach 1999, S. 223-236; Gernot Egger, „Ins Freie? Die vorarlbergisch-schweizerische Grenze 1933-1945“, in: Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933-1945, Hg. Johann-August-Malin-Gesellschaft. Bregenz: Fink’s Verlag, 1985, S. 234-257.

[3] Stefan Keller, Grüningers Fall. Zürich 1993, S. 180f.

Kurzbiografien der genannten Personen

Edmund Fleisch geboren 11.3.1910, gestorben 2.9.1992. Der aus Altach stammende Edmund Fleisch arbeitete als Hilfsarbeiter in der Stickereiindustrie und verdiente sich mit Schmuggel etwas hinzu. 1938 gehörte er zu den Fluchthelfern in Vorarlberg, die nicht zuletzt bedrohten Jüdinnen und Juden über die Grenze in die Schweiz halfen. Dabei arbeitete er unter anderem mit Recha Sternbuch in St. Gallen zusammen. 1939 fand er Arbeit als Eisendreher in Friedrichshafen und wenig später wurde er eingezogen und diente fünf Jahre als Soldat in Griechenland, Russland und Italien, bevor er schließlich nach dem Krieg als Planierraupenfahrer arbeitete.

Willi Hutter geboren ?, gestorben ?. Gemüsehändler in Diepoldsau. War ab 1938 als Fluchthelfer aktiv und arbeitete eng mit Recha Sternbuch in St. Gallen und mit Edmund Fleisch in Altach zusammen.