29 Michael Frei
„Niemand hat wissen dürfen, was mein Vater macht“. Hildegard Schinnerl erzählt von ihrem Vater, dem Fluchthelfer Michael Frei
Hohenems, 2012
Hildegard Schinnerl erinnert sich in einem Interview – für den Film „Grenzfälle“ von Robert Menasse und Kurt Langbein. Ihre Familie, der Vater ein Schweizer, die Mutter aus Vorarlberg, lebte in einem Bauernhaus nahe der Grenze in Hohenems, als der Krieg begann. Ihr Vater Michael Frei war schon mit dem allgegenwärtigen Schmuggel an der Grenze vertraut, und wurde nun zum Fluchthelfer.
„Da hat man sogar mich mit 6 Jahren schon ... nach Lustenau geschickt zum Schauen wer wieder kommt. ... aber man hat nicht gewusst wann sie kommen, die waren dann je länger, dass es ging – von 1938 bis 42 – da waren sie oft einen Monat zwei Monate auf (dem) Weg weil sie haben ja nicht mehr den Zug benützen können. Die sind dann angekommen, nachts, oft schon halb krank. Dann hat man sie verstecken oder aufpäppeln müssen. Die sind dann so nervös oft auch gewesen, so krank vor lauter Angst. Die sind natürlich – mit unserer Familie haben sie mitgelebt, aber immer wieder versteckt. Im Elternschlafzimmer – und dann hat man auch eine Kammer gehabt. Und eben das angebaute Häuschen, da war dann, da mussten sie hinüberkriechen. ... Da hat man immer bei der Wand ... gehört, wenn einer heraufkommt oder hinunter geht, bei der Leiter. Und ich habe genau bei dem Bettchen an der Wand geschlafen.“
„Aber schlimm war noch das, wir hatten immer die SA und die Nachbarn und alles, die SA hatten wir auch immer im Haus. Und niemand hat’s gemerkt, weil man hat bei uns nichts geredet. Also es hat niemand wissen dürfen was mein Vater macht, dass mein Vater der Flüchtlingshelfer ist, also beherbergt. Und dass sie da herkommen, nach Hohenems. Mein Vater hat dann am Stubentisch Pläne gemacht vom Alten Rhein, fast metergenau. Wir haben dann einen Acker, draußen einen großen Acker, mit einer Kapelle... Von da aus hat man immer die Grenzwächter gesehen, wer hinausfährt. Die war so bewacht die Grenze. Mein Vater hat immer müssen spionieren und immer schauen nachts. Und den ganzen Ablauf hat er müssen wissen, was an der Grenze läuft. Sonst hat er gar keine Chance gehabt. Aber wenn der Vater dann gesehen hat, dass sie mit Most oder mit irgendwas, das waren ja nicht lauter Böse, die mussten halt den Dienst machen aber oft haben sie auch getrunken und dann hat er gewartet und dann hat er gedacht ‚ja jetzt geht’s’, wenn sie einen Liter oder zwei Liter Most mithaben, dann hat er es gewagt.
Gleich nach unserem Feld war der Kanal und der ist vor dem Rhein. ... und da war nur, das man laufen hat können, ein Steg, und da war schon wieder das Grenzhäuschen... Und da wars aber noch weit bis zur Schweiz eigentlich...; die Flucht hat erst begonnen da. Und es gab keinen Weg, es gab nur Niemandsland. Es gab nur Gestrüpp und so, das kann man sich nicht vorstellen. ...
Also das ist der Grenzstein, da her haben sie es müssen schaffen. Aber nachher ist genau dieselbe Wildnis – bis zur Schweiz. Also sie sind alle in die Schweiz gut hinübergekommen, ins Lager. Aber mein Vater hat da nie mehr von keinem etwas gehört. Nach dem Krieg hat er erfahren, dass viele wieder der Gestapo in Höchst übergeben worden sind.“[1]
[1] Interview mit Hildegard Schinnerl, in: „Grenzfälle – erzählt von Robert Menasse“ (Kurt Langbein/Robert Menasse, Österreich/Italien 2012).
29 Michael Frei
„Niemand hat wissen dürfen, was mein Vater macht“. Hildegard Schinnerl erzählt von ihrem Vater, dem Fluchthelfer Michael Frei
Hohenems, 2012
Hildegard Schinnerl erinnert sich in einem Interview – für den Film „Grenzfälle“ von Robert Menasse und Kurt Langbein. Ihre Familie, der Vater ein Schweizer, die Mutter aus Vorarlberg, lebte in einem Bauernhaus nahe der Grenze in Hohenems, als der Krieg begann. Ihr Vater Michael Frei war schon mit dem allgegenwärtigen Schmuggel an der Grenze vertraut, und wurde nun zum Fluchthelfer.
„Da hat man sogar mich mit 6 Jahren schon ... nach Lustenau geschickt zum Schauen wer wieder kommt. ... aber man hat nicht gewusst wann sie kommen, die waren dann je länger, dass es ging – von 1938 bis 42 – da waren sie oft einen Monat zwei Monate auf (dem) Weg weil sie haben ja nicht mehr den Zug benützen können. Die sind dann angekommen, nachts, oft schon halb krank. Dann hat man sie verstecken oder aufpäppeln müssen. Die sind dann so nervös oft auch gewesen, so krank vor lauter Angst. Die sind natürlich – mit unserer Familie haben sie mitgelebt, aber immer wieder versteckt. Im Elternschlafzimmer – und dann hat man auch eine Kammer gehabt. Und eben das angebaute Häuschen, da war dann, da mussten sie hinüberkriechen. ... Da hat man immer bei der Wand ... gehört, wenn einer heraufkommt oder hinunter geht, bei der Leiter. Und ich habe genau bei dem Bettchen an der Wand geschlafen.“
„Aber schlimm war noch das, wir hatten immer die SA und die Nachbarn und alles, die SA hatten wir auch immer im Haus. Und niemand hat’s gemerkt, weil man hat bei uns nichts geredet. Also es hat niemand wissen dürfen was mein Vater macht, dass mein Vater der Flüchtlingshelfer ist, also beherbergt. Und dass sie da herkommen, nach Hohenems. Mein Vater hat dann am Stubentisch Pläne gemacht vom Alten Rhein, fast metergenau. Wir haben dann einen Acker, draußen einen großen Acker, mit einer Kapelle... Von da aus hat man immer die Grenzwächter gesehen, wer hinausfährt. Die war so bewacht die Grenze. Mein Vater hat immer müssen spionieren und immer schauen nachts. Und den ganzen Ablauf hat er müssen wissen, was an der Grenze läuft. Sonst hat er gar keine Chance gehabt. Aber wenn der Vater dann gesehen hat, dass sie mit Most oder mit irgendwas, das waren ja nicht lauter Böse, die mussten halt den Dienst machen aber oft haben sie auch getrunken und dann hat er gewartet und dann hat er gedacht ‚ja jetzt geht’s’, wenn sie einen Liter oder zwei Liter Most mithaben, dann hat er es gewagt.
Gleich nach unserem Feld war der Kanal und der ist vor dem Rhein. ... und da war nur, das man laufen hat können, ein Steg, und da war schon wieder das Grenzhäuschen... Und da wars aber noch weit bis zur Schweiz eigentlich...; die Flucht hat erst begonnen da. Und es gab keinen Weg, es gab nur Niemandsland. Es gab nur Gestrüpp und so, das kann man sich nicht vorstellen. ...
Also das ist der Grenzstein, da her haben sie es müssen schaffen. Aber nachher ist genau dieselbe Wildnis – bis zur Schweiz. Also sie sind alle in die Schweiz gut hinübergekommen, ins Lager. Aber mein Vater hat da nie mehr von keinem etwas gehört. Nach dem Krieg hat er erfahren, dass viele wieder der Gestapo in Höchst übergeben worden sind.“[1]
[1] Interview mit Hildegard Schinnerl, in: „Grenzfälle – erzählt von Robert Menasse“ (Kurt Langbein/Robert Menasse, Österreich/Italien 2012).