10 Christian Dutler und Karl Zweifel
Fluchthelfer in Haft, in Bregenz und St. Gallen: Christian Dutler, Karl Zweifel, Alfred Schachtler und Hans Mathys
Gaißau, 20. Dezember 1938
Kurz vor Weinachten 1938 fahren zwei Zürcher Sozialdemokraten nach St. Margrethen zum Restaurant Mineralbad. Hans Mathys und Werner Stocker warten dort vergeblich auf zwei Flüchtlinge, die ihr Genosse Karl Zweifel, ein Schweizer Grenzpolizist, zusammen mit dem Taxichauffeur Alfred Schachtler aus Bregenz abholen will. Doch niemand kommt.
Am 24. Dezember 1938 meldet das Büro von Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, dem deutschen Auswärtigen Amt in Berlin.
„Das Grenzpolizeikommissariat Bregenz hat mit Fernschreiben vom 21.12.1938 folgendes hierher mitgeteilt: ‚Im Laufe des gestrigen Abends wurde mir vertraulich bekannt, dass sich vor einem Café in Bregenz ein Kraftwagen aus St. Gallen […] befindet. Da der Kraftwagen in letzter Zeit in Bregenz häufig zu sehen war, bestand der dringende Verdacht, dass sich der Kraftwagenlenker mit dem Schmuggel von Juden in die Schweiz befasst. Ich habe daraufhin sämtliche Grenzstellen im Bereich des Grenzpolizeikommissariats angewiesen, die Wageninsassen zu kontrollieren. Gegen 20 Uhr wollte der Wagen beim Grenzübergang Gaisau (sic!) die deutsch-schweizerische Grenze passieren. Durch Beamte des durch das Zollamt Gaisau (sic!) fernmündlich verständigten Grenzpolizeikommissariats wurden die Wageninsassen kontrolliert. Hierbei konnte festgestellt werden, dass sich in dem Wagen neben dem Kraftwagenführer, der schweiz. Staatsangehörigkeit ist, zwei Jüdinnen und der Landjäger der Kantonspolizei St. Gallen (Schweiz) Karl Zweifel […], der beim Schweizer Grenzpolizeiposten Buchs tätig ist, befanden. Sämtliche Wageninsassen wurden vorläufig festgenommen und der Kraftwagen sichergestellt. Bei den bisherigen Vernehmungen gab Zweifel zu, nach Bregenz gefahren zu sein, um die Jüdinnen in die Schweiz zu schmuggeln.
Dr. Stocker habe ihm den ‚Ersatz der Spesen‘ zugesagt. Von einer Belohnung sei nicht gesprochen worden. In Buchs (Schweiz) habe er für die beiden Jüdinnen Grenzscheine auf falschen Namen ausgestellt und die beiden Reisepässe auf der Fahrt zur Grenze kurz vor dem Grenzübergang Gaisau (sic!) hinter einen Gartenzaun gesteckt. Von den 140,- RM, die die Jüdinnen dem Kraftwagenlenker zum Verbringen über die Grenze haben, habe er nichts gewusst.“[1]
Zweifels Kollege Christian Dutler, auch er Landjäger der Polizei und Sozialdemokrat, gelingt es nach einigen Tagen, in Bregenz die beiden Schweizer aus dem Gefängnis zu bringen. Für Schachtler muss er ein Kaution von 500,- Franken hinterlegen. Doch Dutler und Zweifel werden nun unmittelbar danach in der Schweiz verhaftet. Es folgen Hausdurchsuchungen und ihre Entlassung. Das sozialdemokratische Netzwerk, das seit Jahren besonders gefährdete politische Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich in die Schweiz schmuggelt, ist aufgeflogen.
Der sozialdemokratische Regierungsrat und Vorstand der St. Galler Polizei Valentin Keel gerät unter Druck. Auch Hauptmann Grüningers Verhalten wird schon länger misstrauisch vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments – und dem Chef der Fremdenpolizei Heinrich Rothmund – beäugt. Nun werden Keel und Grüninger gegeneinander ausgespielt. Im März stehen die Wahlen zum Regierungsrat in St. Gallen an.
Valentin Keel lässt Paul Grüninger fallen. Er gewinnt seine Wahl und verteidigt seine strategische Position. Im April wird Paul Grüninger unehrenhaft entlassen. Der Prozess gegen ihn folgt und endet mit seiner Verurteilung.
Was aus den beiden jüdischen Frauen hingegen wurde, ist unbekannt.
Leseempfehlungen:
Stefan Keller, Grüningers Fall. Geschichten von Flucht und Hilfe. Zürich 1993 (1998).
Jörg Krummenacher, Flüchtiges Glück. Die Flüchtlinge im Grenzkanton St. Gallen zur Zeit des Nationalsozialismus. Zürich 2005.
[1] Stefan Keller, Grüningers Fall. Geschichten von Flucht und Hilfe. Zürich 1993 (1998), S. 88.
10 Christian Dutler und Karl Zweifel
Fluchthelfer in Haft, in Bregenz und St. Gallen: Christian Dutler, Karl Zweifel, Alfred Schachtler und Hans Mathys
Gaißau, 20. Dezember 1938
Kurz vor Weinachten 1938 fahren zwei Zürcher Sozialdemokraten nach St. Margrethen zum Restaurant Mineralbad. Hans Mathys und Werner Stocker warten dort vergeblich auf zwei Flüchtlinge, die ihr Genosse Karl Zweifel, ein Schweizer Grenzpolizist, zusammen mit dem Taxichauffeur Alfred Schachtler aus Bregenz abholen will. Doch niemand kommt.
Am 24. Dezember 1938 meldet das Büro von Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, dem deutschen Auswärtigen Amt in Berlin.
„Das Grenzpolizeikommissariat Bregenz hat mit Fernschreiben vom 21.12.1938 folgendes hierher mitgeteilt: ‚Im Laufe des gestrigen Abends wurde mir vertraulich bekannt, dass sich vor einem Café in Bregenz ein Kraftwagen aus St. Gallen […] befindet. Da der Kraftwagen in letzter Zeit in Bregenz häufig zu sehen war, bestand der dringende Verdacht, dass sich der Kraftwagenlenker mit dem Schmuggel von Juden in die Schweiz befasst. Ich habe daraufhin sämtliche Grenzstellen im Bereich des Grenzpolizeikommissariats angewiesen, die Wageninsassen zu kontrollieren. Gegen 20 Uhr wollte der Wagen beim Grenzübergang Gaisau (sic!) die deutsch-schweizerische Grenze passieren. Durch Beamte des durch das Zollamt Gaisau (sic!) fernmündlich verständigten Grenzpolizeikommissariats wurden die Wageninsassen kontrolliert. Hierbei konnte festgestellt werden, dass sich in dem Wagen neben dem Kraftwagenführer, der schweiz. Staatsangehörigkeit ist, zwei Jüdinnen und der Landjäger der Kantonspolizei St. Gallen (Schweiz) Karl Zweifel […], der beim Schweizer Grenzpolizeiposten Buchs tätig ist, befanden. Sämtliche Wageninsassen wurden vorläufig festgenommen und der Kraftwagen sichergestellt. Bei den bisherigen Vernehmungen gab Zweifel zu, nach Bregenz gefahren zu sein, um die Jüdinnen in die Schweiz zu schmuggeln.
Dr. Stocker habe ihm den ‚Ersatz der Spesen‘ zugesagt. Von einer Belohnung sei nicht gesprochen worden. In Buchs (Schweiz) habe er für die beiden Jüdinnen Grenzscheine auf falschen Namen ausgestellt und die beiden Reisepässe auf der Fahrt zur Grenze kurz vor dem Grenzübergang Gaisau (sic!) hinter einen Gartenzaun gesteckt. Von den 140,- RM, die die Jüdinnen dem Kraftwagenlenker zum Verbringen über die Grenze haben, habe er nichts gewusst.“[1]
Zweifels Kollege Christian Dutler, auch er Landjäger der Polizei und Sozialdemokrat, gelingt es nach einigen Tagen, in Bregenz die beiden Schweizer aus dem Gefängnis zu bringen. Für Schachtler muss er ein Kaution von 500,- Franken hinterlegen. Doch Dutler und Zweifel werden nun unmittelbar danach in der Schweiz verhaftet. Es folgen Hausdurchsuchungen und ihre Entlassung. Das sozialdemokratische Netzwerk, das seit Jahren besonders gefährdete politische Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich in die Schweiz schmuggelt, ist aufgeflogen.
Der sozialdemokratische Regierungsrat und Vorstand der St. Galler Polizei Valentin Keel gerät unter Druck. Auch Hauptmann Grüningers Verhalten wird schon länger misstrauisch vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments – und dem Chef der Fremdenpolizei Heinrich Rothmund – beäugt. Nun werden Keel und Grüninger gegeneinander ausgespielt. Im März stehen die Wahlen zum Regierungsrat in St. Gallen an.
Valentin Keel lässt Paul Grüninger fallen. Er gewinnt seine Wahl und verteidigt seine strategische Position. Im April wird Paul Grüninger unehrenhaft entlassen. Der Prozess gegen ihn folgt und endet mit seiner Verurteilung.
Was aus den beiden jüdischen Frauen hingegen wurde, ist unbekannt.
Leseempfehlungen:
Stefan Keller, Grüningers Fall. Geschichten von Flucht und Hilfe. Zürich 1993 (1998).
Jörg Krummenacher, Flüchtiges Glück. Die Flüchtlinge im Grenzkanton St. Gallen zur Zeit des Nationalsozialismus. Zürich 2005.
[1] Stefan Keller, Grüningers Fall. Geschichten von Flucht und Hilfe. Zürich 1993 (1998), S. 88.