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    Zollamt Mäder, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems

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    Rheingrenze bei Mäder, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems

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    Luftbild des schweizerischen Oberriets mit Mäder und Koblach hinter der Rheingrenze, 1947
    Foto: Werner Friedli, ETH-Bibliothek Zürich Bildarchiv



33    Wendel Langenegger> 1940 - 1944


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33 Wendel Langenegger

Wendel Langenegger: Eine Schweizer Grenzwache erlebt Flüchtlingsschicksale am Alpenrhein
Kriessern – Mäder, 1940 bis 1944

So manches, was sich an der Rheingrenze ereignete, ist nur in den Erinnerungen von Zeitzeugen überliefert. Einer von ihnen war der Lehrer Wendel Langenegger in der Schweizer Gemeinde Kriessern, direkt am Rhein gegenüber den österreichischen Gemeinden Koblach und Mäder.

Von 1933 bis 1940 war Langenegger Lehrer in Altstätten, von 1941 bis 1950 in Kriessern, dann wieder in Altstätten tätig und als Musiker, Mundartforscher und Lokalhistoriker aktiv. 1940 war er auch als Grenzwache am Rhein eingesetzt. In seinem autobiografischen Buch über sein „Heimatdorf“ am Rhein schrieb Langenegger über verschiedene Versuche von Kriegsgefangenen, Zwangs- und Fremdarbeitern von Mäder oder Koblach aus über den Rhein zu gelangen.

„Im Dezember 1940 hielt ich Wachdienste bei der Rheinbrücke Kriessern-Mäder. […] Mitten in der Nacht weckte mich das Alarmsignal aus dem Schlaf: ‚Wachkommandant raus!‘ Bewaffnet mit dem Gewehr hastete ich zur Rheinbrücke und vernahm aus der Dunkelheit die Stimme unseres Wachsoldaten, der über den Rhein rief: ‚Nicht schiessen, sie sind hier!‘ Alsbald stiegen zwei Personen aus den eiskalten Fluten. Sie hatten keine Kleider an, trugen lediglich einen Rucksack auf dem Rücken und schlotterten vor Kälte. Wir brachten sie ins Zollamt, wo ihnen ein wärmendes Bad und Verpflegung zuteil wurde. Die Geretteten, ein junger polnischer Arzt und seine Frau sprachen nur wenig deutsch. Sie berichteten von der monatelangen Flucht durch Österreich zum Rhein. Er, Nicht-Schwimmer, hielt sich bei der Rheinüberquerung am Rucksack der Frau fest. Sie hatte ein Amulett von Tschenstochau eingepackt, ein Geschenk ihrer Grossmutter und war fest überzeugt, ihre Rettung der Gottesmutter zu verdanken. Der Pole wirkte später als Lagerarzt in einem Walliser Flüchtlingslager.“[1]

Auch ein französischer Flüchtling kommt dem Lehrer auf Wachdienst eines Tages aus dem Rhein entgegen, weinend um seinen offenbar ertrunkenen Freund trauernd.

„Die Flucht der beiden Freunde hatte vor vier Monaten in Wien begonnen. Sie waren aus einem Gefangenenlager ausgebrochen und hatten auf dem langen Weg zur Rheingrenze nur in Wäldern und einsamen Bauernhäusern übernachtet. Auf dem Kummenberg bei Koblach beobachteten sie die Tour der deutschen Grenzwacht und besprachen die Flucht in die Schweiz. Sie wollten durch den Erlenwald zum Rheinvorland gelangen. Dort sollte der eine ins Wasser steigen und durch einen Steinwurf dem anderen das Signal zum Nachfolgen geben. Die beiden waren jedoch entdeckt worden. Während der erste in den Rhein stieg, ertönte hinten ein Schuss. Sein Freund war erschossen worden.“

Bis zum Kriegsende gab es immer wieder Versuche auch dort über den Rhein zu fliehen, wo der Strom ein größeres Hindernis darstellte. Im Dezember 1944 wurde, so erinnert sich Langenegger, auf einer Kiesbank im Rhein die Leiche eines Mannes gefunden, dessen Geschichte auf der Schweizer Seite bald bekannt wurde.

„Der 36 Jahre alte Pole hatte beinahe zwei Jahre lang in der Schreinerei Gächter in Koblach (Vorarlberg) zur vollen Zufriedenheit aller gearbeitet. Drei Wochen vor seiner Flucht lernte er einen polnischen General kennen, der noch im Sommer 1944 unter General Bor in den Strassen Warschaus gekämpft hatte. Dieser General war in deutsche Gefangenschaft geraten und wurde zu Zwangsarbeit nach Koblach verpflichtet. Die beiden Landsleute trafen sich zufällig und beschlossen, gemeinsam zu fliehen. Während der General das rettende Schweizerufer glücklich erreichte, wurde sein Kamerad von den kalten Fluten mitgerissen und fand dabei den Tod. Seine Hilferufe wurden zwar von der schweizerischen Grenzwacht gehört, doch war eine Rettung in der Dunkelheit unmöglich. Seine Leiche wurde anderntags gefunden. Ein Schüler entdeckte später eine Tasche mit den Personalien des Toten und einigen Geldscheinen. So endete das Leben des jungen Familienvaters aus Romanowka, Kreis Tarnopol, in Kriessern, im St. Galler Rheintal. Er fand seine letzte Ruhe auf unserem Friedhof. Das hölzerne Grabkreuz geriet bald in Vergessenheit. Wie und wann mag wohl die Todesnachricht seine Frau und Kinder in Polen erreicht haben.“

Links:
Ein Hörweg vom Steinbruch zum Rhein folgt den Spuren der Zwangsarbeit in der Region, Grenzschleusen im Rheinvorland. Ein Hörspaziergang zu NS-Zwangsarbeit, Hochwasserschutz und Flucht: www.rheinvorland.info


[1] Wendel Langenegger, Kriessern – meine Erlebnisse im Heimatdorf und am Rhein. C-Print AG, Au 2003, S. 67f.

 

 

 

33 Wendel Langenegger

Wendel Langenegger: Eine Schweizer Grenzwache erlebt Flüchtlingsschicksale am Alpenrhein
Kriessern – Mäder, 1940 bis 1944

So manches, was sich an der Rheingrenze ereignete, ist nur in den Erinnerungen von Zeitzeugen überliefert. Einer von ihnen war der Lehrer Wendel Langenegger in der Schweizer Gemeinde Kriessern, direkt am Rhein gegenüber den österreichischen Gemeinden Koblach und Mäder.

Von 1933 bis 1940 war Langenegger Lehrer in Altstätten, von 1941 bis 1950 in Kriessern, dann wieder in Altstätten tätig und als Musiker, Mundartforscher und Lokalhistoriker aktiv. 1940 war er auch als Grenzwache am Rhein eingesetzt. In seinem autobiografischen Buch über sein „Heimatdorf“ am Rhein schrieb Langenegger über verschiedene Versuche von Kriegsgefangenen, Zwangs- und Fremdarbeitern von Mäder oder Koblach aus über den Rhein zu gelangen.

„Im Dezember 1940 hielt ich Wachdienste bei der Rheinbrücke Kriessern-Mäder. […] Mitten in der Nacht weckte mich das Alarmsignal aus dem Schlaf: ‚Wachkommandant raus!‘ Bewaffnet mit dem Gewehr hastete ich zur Rheinbrücke und vernahm aus der Dunkelheit die Stimme unseres Wachsoldaten, der über den Rhein rief: ‚Nicht schiessen, sie sind hier!‘ Alsbald stiegen zwei Personen aus den eiskalten Fluten. Sie hatten keine Kleider an, trugen lediglich einen Rucksack auf dem Rücken und schlotterten vor Kälte. Wir brachten sie ins Zollamt, wo ihnen ein wärmendes Bad und Verpflegung zuteil wurde. Die Geretteten, ein junger polnischer Arzt und seine Frau sprachen nur wenig deutsch. Sie berichteten von der monatelangen Flucht durch Österreich zum Rhein. Er, Nicht-Schwimmer, hielt sich bei der Rheinüberquerung am Rucksack der Frau fest. Sie hatte ein Amulett von Tschenstochau eingepackt, ein Geschenk ihrer Grossmutter und war fest überzeugt, ihre Rettung der Gottesmutter zu verdanken. Der Pole wirkte später als Lagerarzt in einem Walliser Flüchtlingslager.“[1]

Auch ein französischer Flüchtling kommt dem Lehrer auf Wachdienst eines Tages aus dem Rhein entgegen, weinend um seinen offenbar ertrunkenen Freund trauernd.

„Die Flucht der beiden Freunde hatte vor vier Monaten in Wien begonnen. Sie waren aus einem Gefangenenlager ausgebrochen und hatten auf dem langen Weg zur Rheingrenze nur in Wäldern und einsamen Bauernhäusern übernachtet. Auf dem Kummenberg bei Koblach beobachteten sie die Tour der deutschen Grenzwacht und besprachen die Flucht in die Schweiz. Sie wollten durch den Erlenwald zum Rheinvorland gelangen. Dort sollte der eine ins Wasser steigen und durch einen Steinwurf dem anderen das Signal zum Nachfolgen geben. Die beiden waren jedoch entdeckt worden. Während der erste in den Rhein stieg, ertönte hinten ein Schuss. Sein Freund war erschossen worden.“

Bis zum Kriegsende gab es immer wieder Versuche auch dort über den Rhein zu fliehen, wo der Strom ein größeres Hindernis darstellte. Im Dezember 1944 wurde, so erinnert sich Langenegger, auf einer Kiesbank im Rhein die Leiche eines Mannes gefunden, dessen Geschichte auf der Schweizer Seite bald bekannt wurde.

„Der 36 Jahre alte Pole hatte beinahe zwei Jahre lang in der Schreinerei Gächter in Koblach (Vorarlberg) zur vollen Zufriedenheit aller gearbeitet. Drei Wochen vor seiner Flucht lernte er einen polnischen General kennen, der noch im Sommer 1944 unter General Bor in den Strassen Warschaus gekämpft hatte. Dieser General war in deutsche Gefangenschaft geraten und wurde zu Zwangsarbeit nach Koblach verpflichtet. Die beiden Landsleute trafen sich zufällig und beschlossen, gemeinsam zu fliehen. Während der General das rettende Schweizerufer glücklich erreichte, wurde sein Kamerad von den kalten Fluten mitgerissen und fand dabei den Tod. Seine Hilferufe wurden zwar von der schweizerischen Grenzwacht gehört, doch war eine Rettung in der Dunkelheit unmöglich. Seine Leiche wurde anderntags gefunden. Ein Schüler entdeckte später eine Tasche mit den Personalien des Toten und einigen Geldscheinen. So endete das Leben des jungen Familienvaters aus Romanowka, Kreis Tarnopol, in Kriessern, im St. Galler Rheintal. Er fand seine letzte Ruhe auf unserem Friedhof. Das hölzerne Grabkreuz geriet bald in Vergessenheit. Wie und wann mag wohl die Todesnachricht seine Frau und Kinder in Polen erreicht haben.“

Links:
Ein Hörweg vom Steinbruch zum Rhein folgt den Spuren der Zwangsarbeit in der Region, Grenzschleusen im Rheinvorland. Ein Hörspaziergang zu NS-Zwangsarbeit, Hochwasserschutz und Flucht: www.rheinvorland.info


[1] Wendel Langenegger, Kriessern – meine Erlebnisse im Heimatdorf und am Rhein. C-Print AG, Au 2003, S. 67f.

 

 

 

Kurzbiografien der genannten Personen

Von 1933 bis 1940 war der Schweizer Wendel Langenegger Lehrer in Altstätten von 1941 bis 1950 in Kriessern, dann wieder in Altstätten tätig und als Musiker, Mundartforscher und Lokalhistoriker aktiv. 1940 war er auch als Grenzwache am Rhein eingesetzt. In seinem autobiografischen Buch über sein „Heimatdorf“ am Rhein schrieb Langenegger über verschiedene Versuche von Kriegsgefangenen, Zwangs- und Fremdarbeitern von Mäder oder Koblach aus über den Rhein zu gelangen. Darin berichtet er auch über einen französischen Flüchtling, der dem Lehrer während seines Wachdiensts eines Tages aus dem Rhein entgegen kam, weinend um seinen offenbar ertrunkenen Freund trauernd. Bis zum Kriegsende gab es immer wieder Versuche auch dort über den Rhein zu fliehen, wo der Strom ein größeres Hindernis darstellte. Im Dezember 1944 wurde, so erinnert sich Langenegger, auf einer Kiesbank im Rhein die Leiche eines Mannes gefunden, dessen Geschichte auf der Schweizer Seite bald bekannt wurde.